Der Schrecken der Karibik - Kapitel 26

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"Also nochmal bitte." Der kleine Mann scheint geduldig hinter seinem Tisch zu stehen und eine Seekarte zu zeichnen. Es ist eine kleine Weile her, dass er den Befehl gab, die Prinzessin zurückzuholen. Das der Commodore länger benötigt als gedacht gibt ihm innerlich zu denken. Aber Ruhe zu bewahren und nicht die Nerven zu verlieren ist Teil seiner Strategie. Er bekommt immer was er will und wenn er ein paar dutzende Schiffe verliert, dann ist dies den Preis durchaus wert. "Lord", beginnt der Soldat erneut die Botschaft zu überbringen. "Die karibische Insel, welche ihr neu besiedeln wolltet existiert samt der Flotte des Commodore nicht mehr. Es gab... gab... keine Überlebenden." Selbst dem einfachen Soldaten fiel es schwer, diese Botschaft zu überbringen. Ein unglückliches Naturphänomen spülte die Insel fort, glaubt er zumindest. Doch Anné vernichtete scheinbar irgendwie die Flotte eines Commodore. "Ihr dürft euch entfernen." Auf die Worte des Lords salutiert er kurz und geht dann wieder auf seinen Posten. Der kleine Lord betrachtet die Seekarte und kaut auf seiner Lippe herum. Er ist nachdenklich. Er weiß zwar nicht genau was geschehen ist, aber die Insel ist sicherlich nicht wegen einer Laune der Natur verschwunden. "Also gut. Dann wird es Zeit für eine neue Strategie", murmelt er leise zu sich selbst, während er mit verschränkten Armen hinter seinem Rücken die Seekarte betrachtet. Er würde die Flying Dutchman jagen. Er würde Elisabeth zurückbekommen und wenn es das Leben anderer kostet. Er musste nur nachdenken und die Figuren richtig positionieren. Nur wie konnte er einen Feind auslöschen, der übermächtig scheint?

Die Beiboote der Flying Dutchman steuern auf die vertraute Insel der Seegöttin zu. Eigentlich benötigen sie diese kleinen, hölzernen Transportmittel nicht, aber Elisabeth kann man nicht einfach auf die Insel bringen wie die Crew, die binnen eines winzigen Zeitraum sich auf diese Insel begeben können. Die Gedanken des Kapitän hängen bei der jungen Elisabeth. Bleich, kühl und leblos liegt sie in dem Beiboot, welches Anné persönlich in den Schrein der Meeresgöttin steuert. Selten geschieht es, dass sie selbst Hand anlegt an die hölzernen, glatten Paddel, doch sieht sie es für nötig an. Wenn sie Dinge selbst in die Hand nimmt gelingen sie, zumindest meist. Schließlich hatte der Tod von Elisabeth ihr bewiesen, dass sie sich ablenken lässt und nicht geschützt ist gegen spontan handelnde Menschen mit schlechten Sichtverhältnissen. Diese zwei Idioten hatten sie verfehlt und stattdessen Elisabeth getroffen. Dafür hatte sie eine ganze Flotte sowie eine Insel dem Meer übergeben. Hunderte Seelen füllen nun mehr das karibische Meer, verdientermaßen, wie es Anné empfindet. Manche Menschen sind einfach mehr wert als andere. Und die junge Prinzessin war diese tausenden Leben nicht einmal im Ansatz wert. Millionen und Milliarden würden nicht den Verlust aufwiegen, den sie vor ein paar Tage erlitten hatte. Doch hat sie die junge Frau noch nicht aufgegeben. Ihre Macht schützt Elisabeth vor der Verwesung, welche sonst immer nach dem Tod eintritt und den Körper zersetzt, bis nur noch die Knochen auf der Erde verbleiben. Bald schon ist sie am Steg angekommen, wird ihr kleines Boot von einem Crewmitglied mittels eines starken Taus befestigt. Anné trägt Elisabeth auf ihren Armen in den Kern ihrer Insel. Die kleinen Tunnelsysteme mögen für die einen wie ein Irrgarten erscheinen, aber für sie sind diese Strukturen klar und deutlich, als würden sie schon immer Teil ihres Lebens sein. Kein Mitglied ihrer Crew begleitet sie oder sieht ihr nach. Sie alle haben eine Aufgabe, der sie nachkommen, während Anné sich in das innere wagt. Nur sehr wenige schleichen an Anné vorbei und gehen in jenen Bereich, welchen den meisten versagt bleiben, so auch Elisabeth, als sie auf der Insel damals war und auf Anné gewartet hatte. Was waren das noch für unbesorgte Zeiten, in denen die beiden sich kindlich gestritten haben, in denen Elisabeth die Freiheit genossen hatte und ihre Augen geschlossen hatte, als der Wind durch ihr Haar wehte und über ihr Gesicht streichelte. So sorglos war es, als sie selbst seelenruhig ihr Schiff über die Meere steuerte, Blackbeard versenkte und ganz ihrer Aufgabe nachgehen konnte, die uralten Schätze wieder an ihren ursprünglichen Platz zurückzubringen. "Gestohlen. Betrogen. Verraten", flüstert Anné leise zu sich selbst. Die Geschichte ihrer Göttin ist eine tragische und man nahm alles. Sie bezeichnen es als gefundenen Schatz und die ganze Welt jubelt, obwohl es nichts weiter ist als gemeiner Raub. Der riesige Höhlenraum ist mit Fackeln beleuchtet. Schätze stapeln sich hier und werden gepflegt, den sie sind Eigentum einer uralten Religion, welche seit ewigen Jahrhunderten schon existiert und Bestand hat. Langsam nähert sich Anné einer meterhohen Statue, der Abbildung ihrer Göttin. Eine Nagafrau mit Haaren, die selbst aus mehreren Schlangen zu bestehen scheinen und statt Beinen besitzt diese Gottheit einen schuppenbesetzten Schlangenkörper Unterhalb des Bauchnabels. Wunderschön soll sie gewesen sein, die Göttin Shi'raska und doch entgegen allen Aberglaubens existiert sie. Sie ist die See. Die Stimme des Meeres, des Regens und die Urgewalt reißender Wellen und Strudel. Vor der Statue kniet sie nieder wie eine ehrfürchtige Dienerin, da sie auch den Kopf senkt. Vor sich legt sie Elisabeth ab, ehe sie ihre Stimme erhebt. "Meine geliebte Göttin Shi'raska. Ich, eure Dienerin Anné Shanel komme mit einer bitte zu euch. Stets erfüllte ich meine Pflicht und gab euch die Schätze zurück, die uns nähren und Kraft geben. Ich habe die Frau gefunden, nach der ihr verlangtet. Doch teile ich mehr mit ihr, als dass ich sie nur für das Ziel benutzen könnte, für welches sie gedacht ist. So erflehe ich euch: Bitte gebt mir Elisabeth zurück. Lasst sie Teil meiner Crew werden mit einem freien Willen." Einige Sekunden geschieht rein gar nichts, ehe die Augen der Statue aufleuchten und ein lachen ertönt. Es ist machtvoll, wie das einer Königin, welche sich ihrer Macht bewusst ist. "Anné Shanel. Es ist lange her, dass ich deine Stimme gehört habe. Ich habe auf dich gewartet. Und nun unterhalten wir uns über dich und unseren kleinen Schatz", ertönt es zischend, als würde eine Schlange in Gestalt eines humanodien Menschenwesens sprechen. Ihre Stimme erschallt von überall, doch ist keine Manifestation der Göttin zu sehen. "Fürwahr. Es ist Zeit zu reden und dein Schicksal zu erfüllen, Anné. Auch Elisabeth wird ihr Schickal erfüllen", flüstert sie nun, wobei selbst dies wie eine übermächtige Aura in der Höhle erklingt. Oft betet Anné hier, doch ist es Jahre her, dass sie die Stimme ihrer Göttin vernahm. Viele Jahre. Sehr viele Jahre.

Der Schrecken der Karibik | girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt