Der Schrecken der Karibik - Kapitel 12

1.4K 89 0
                                    

Die Insel, welche sie erreicht haben, gleicht eher einem geheimen Schrein. Die Seekarten Englands sind ihr mehr als bekannt. Die leeren Flecke der Landkarte werden mit Tinte gefüllt und jede noch so kleine Insel wird kategorisiert. Ungefähr hat Elisabeth im Kopf in welcher Gegend sie sich befinden. Aber diese Insel kennt sie nicht. Solch eine Insel wäre aufgrund ihrer Eigenart rasch bekannt geworden. "Man würde sie für einen großen Felsen halten, in welchen man ein Loch geschlagen hatte und dort hinein eine Art Quartier gebaut habt", erklärt ihr der Bootsmann, welcher scheinbar neben Anné stets ein Auge auf sie hat. Schnell glaubte die Königin daran, dass sie das Basislager, den geheimen Unterschlupf der Flying Dutchman gefunden habe. Dennoch schüttelt die Kapitänin mit dem Kopf, als könne sie die Gedanken der Prinzessin lesen. "Nein. Dies ist ein Schrein, der nur mit Ruderbooten erreichbar ist. Die Flying Dutchman würde nicht hineingelangen, es sei den, man will das ganze, wundervolle Schiff zerstören. So verbleibt ein Großteil der Crew an Bord, falls hier mal doch ein englisches Schiff nach euch suchen sollte." Die zukünftige Königin weiß langsam nicht mehr, was sie über Anné Shanel denken soll. Grausam, eine Mörderin, die selbst vor Piraten keine Gnade kennt. Aber auf der anderen Seite erkennt sie langsam und allmählich, dass Anné etwas anderes ist. Mehr, als nur ein brutales Wesen, dass einfach tötet, wie es lustig ist. Elisabeth reißt sich los und blickt nach vorn, bevor sie die Kapitänin noch länger anstarrt. "Ich hasse euch", bringt sie die Worte neutral hervor, welche sie an die Mörderin ihres Patenonkels richtet. "Das klang schon einmal überzeugender, Prinzessin." Anné Shanel lacht. Sie lacht herzlich und scheinbar amüsiert über die bockige Art, welche so oft den Tag an Bord der Dutchman dank ihres neuen Gasts gefunden hat. Während Anné lacht, schweigt Elisabeth einfach nur. Vielleicht, aber auch nur vielleicht ist sie der Kapitänin nicht mehr ganz so böse, redet Elisabeth im inneren mit sich selbst. Dennoch würde sie jede erneute Chance nutzen, dieser Hexe ein Messer in den Rücken zu rammen. Doch darüber kann sie sich später Gedanken machen. Die Sonne verschwindet allmählich, da sie diese riesige Höhle betreten mit ihren Ruderbooten. Stalagtiten begrüßen sie und an der Decke scheinen mehrere Lebewesen zu hängen. Aber durch die schwache Beleuchtung ist es ihr kaum möglich, wirklich etwas zu erkennen oder zu identifizieren. "Fledermäuse. Der Kapitän liebt diese kleinen Wesen. Manchmal beobachtet sie stundenlang die kleinen Tierchen, obwohl sie sich manchmal nicht bewegen." Der Bootsmann ist wie gewohnt nahe Elisabeths und erklärt ihr ab und an einige Dinge, welche sie sich innerlich fragt. Er ist kein Freund geworden, wie könnte die Prinzessin auch Piraten mögen? Eher könnte sie ihn mit einem angenehmen Begleiter vergleichen, der mit einem spricht, wenn man ihn gerade benötigt. "Anné beobachtet Fledermäuse? Warum sollte sie sowas tun?" Für sie ergibt das keinerlei Sinn, warum eine so präzise Frau solch banalen, unnötigen Beschäftigungen in der Freizeit folgt. "Frag sie doch persönlich. Ich bin mir sicher, sie wird dir eine Antwort geben." Doch statt nachzufragen, schweigt die junge Prinzessin und beobachtet die Umgebung. Scheinbar nähern sie sich einer Anlegestelle. Einige Häuser wurden in diese Höhle gebaut, scheinbar in sehr guten Zustand. Niemand wartet auf sie, woraus auch geschlossen werden kann, dass niemand die Hütten instand hält. Aber wer tut dies dann? Ein Geist oder gar die fremde Kraft, welche auch die Flying Dutchman zu begleiten scheint? "Darauf werdet ihr auch heute keine Antwort erhalten, Prinzessin." Immer mehr nennt Anné sie Prinzessin, als wolle sie Elisabeth aufziehen und in eine Art Rage bringen. "Könnt ihr bitte eure Gedankenspiele unterlassen? Ich bin nicht sonderlich begeistert, wenn ihr ständig Zauberkünstlerin spielt. Für sowas könnte ich euch auf einem Scheiterhaufen als Hexe verbrennen lassen!" Zwar ist Elisabeth immer noch bissig, aber schon lange nicht mehr so aggressiv und energisch wie vorher. "Ich muss nicht einmal Zauberei anwenden oder Magie, um zu erkennen, was ihr denkt. Nur durch den Anblick eures Gesichts kann man bereits erkennen, was ihr denkt und welche Gedankengänge euch beschäftigen, Elisabeth." Ein grummeln erhält Anné auf ihre Worte, aber dann herrscht auch schon Stille zwsichen den beiden Frauen. Langsam legen die Boote an und werden mit einem Tau am Steg befestigt, sodass sie nicht einfach davontreiben und die Bewohner auf ihrer eigenen Insel einsperren, wobei Anné und ihre Crew auch sicherlich andere Methoden kennen und diese kleinen Beiboote eigentlich nicht benötigen. Die kleinen Hütten sehen wahrlich recht gemütlich aus, aber auf das innere kann Elisabeth keinen Blick werfen. Die Beleuchtung ist schwach und war schon vorhanden, als sie auf der Insel ankamen. Wahrlich unlogisch, wie Elisabeth feststellt. Wenn niemand vorher hier war und das für über zwei Wochen, wer hat dann die Fackeln entzündet oder sie am Leben gehalten? Mehr und mehr erscheint ihr die Geschichte um die Flying Dutchman wie eine schaurige Gespenstergeschichte. "Was sind das eigentlich für Statuen?" Überall stehen Statuen, manche sogar höher als sie selbst. Sie zeigen eine menschliche Frau mit langem Haar, welche komplett nackt ist. Sie scheint eine ausgezeichnete Körperform zu besitzen. Eigenartig sind die Kiemen, welche die Frau besitzt und sie Schwimmhäute an Armen, Füßen und den Beinen. "Das ist die Meeresgöttin Shi'raska. Eine beinah unbekannte Gottheit, heidnisch würdet ihr sie nennen. Vor vielen Jahren gab es hunderte Anhänger von ihr, doch heute sind kaum mehr welche übrig. Ich selbst glaube nicht an sie." Aufmerksam hört man den Erklärungen Anné's zu. Elisabeth dachte schon, dass die Meeresgöttin und Anné miteinander in Verbindung stehen, aber übernatürliche Kräfte gibt es nicht. Es ist wie das Christentum. Man schreibt einen Gott vor, allmächtig und Sünder bestrafend, doch die meisten Sünder werden von ganz normalen Soldaten getötet oder bestraft, falls sie erwischt werden sollten. Aber irgendeine Verbindung muss es dazu geben. Was hat Elisabeth nur übersehen? Oder denkt sie zu engstirnig? "Wartet hier. Keiner rührt sich von der Stelle." Diesesmal duldet Anné absolut keinen Widerstand. Sie biegt in einen unscheinbaren Gang nach rechts ab, in welcher nur Schwärze herrscht und man nicht einmal die eigene Hand vor Augen erblicken könnte. Elisabeth überkommt das Gefühl, beobachtet zu werden von einer erdrückenden Kraft, welche über die ganze Insel wacht. "Anné? Anné!" Die verzweifelten Rufe von Elisabeth hallen in den schwarzen Gang, aus welchem es kein entkommen zu geben scheint. Mehrere Male ruft sie ihren Namen, aber erhält keine Antwort. "Hoffentlich geht es euch gut, zumindest halbwegs." Sie korregierte sich in ihrem Satz selbst, als sie bemerkte, dass sie doch eine Spur zu nett klang. Desinteressiert dreht sie sich fort, doch schon nach wenigen Sekunden huscht ihr Kopf immer wieder zu dem schwarzen Gang in der minimalen Hoffnung, dort die Frau mit weißem Haar und der Augenklappe zu erblicken.

Der Schrecken der Karibik | girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt