Die Reise zur Insel verlief schweigend ab. Im Beiboot von Anné befindet sich die Schatzkiste, welche sie vor kurzem geborgen haben. Keiner redet miteinander und selbst die Crew scheint zu schweigen, wohl aus Angst davor, dass ihr Kapitän die Beherrschung verlieren könnte. Oder sie nehmen den Zustand von ihr automatisch an. Wie man es auch dreht und wendet, es interessiert Elisabeth nicht wirklich, warum die Crew so still ist. Ihre Tränen verkneift sie sich. Auf keinen Fall wollte sich Blöße geben, ihre Gefühle zu zeigen, ebenso wenig, wie Anné ihre Gefühle zeigen will und deshalb kalt bleibt. Keine der beiden ahnt, dass sie gegeneinander arbeiten und nur einen Schritt davon entfernt sind, ihre Gefühle zu erkennen und sich diesen hinzugeben. Schweigend wird selbst das entladen verbracht. Elisabeths Neugierde auf den Schrein der Göttin ist momentan unwichtig. Sie wartet direkt bei den Booten und lässt Anné und ihre Gefolgsleute ziehen. "Dieses ungehobelte, kleine Miststück", flucht sie leise für sich herum. Durch ihre innere Aufgewühltheit wird sie dermaßen unruhig, dass sie beginnt, auf und ab zu gehen. "Wie kann sie mich nur ignorieren? Was bildet sie sich ein, wer sie ist? Kapitän Anné Shanel, die Anführerin der Crew der Flying Dutchman und Dienerin der Meeresgöttin! Welch glorreicher Titel!" Mehr als spottend ist ihr Ton. Ihre Trauer und ihr Schmerz hatte sich in pure Wut verwandelt. Sie hatte das dringende Bedürfniss, jemandem so sehr ins Gesicht zu schlagen, dass es ihm nicht nur das Nasenbein bricht. Selbst weiß sie nicht, wie viel Zeit vergeht, in der sie herumflucht und Anné mehrfach den Tod wünscht, aber es sind unzählige Flüche, welche über ihre Lippen rennen. Gotteslästerung ist eine Sünde, welcher die junge Frau schon sehr oft erlag. Dafür schämen oder Buße tun würde sie allerdings nicht. Wieso auch? Sie verschwendet ja nicht mal einen Gedanken darum.
"Diese dämliche, dumme Kuh wagt es, meine Gefühle fortzustoßen? Wie kann sie es..." Ein räuspern ertönt hinter ihr, was sie dazu animiert, aufzuhören und sich herumzudrehen, nur um direkt in das Antlitz der Frau zu schauen, der sie gerne die drei Worte gesagt hätte, nach der sich so viele Menschen sehnen. "Sind wir jetzt fertig mit schreien? Es ist entwürdigend, einen für UNS heiligen Ort mit wüsten Beschimpfungen und Flüchen zu belasten." Uns. Sie betont es so, als würde Elisabeth nicht dazugehören, was die junge Prinzessin rot vor Wut werden lässt. "Dann verlassen wir doch diese verrottende, ausgestorbene, heidnische Insel, bevor ich noch anfange wie ein Ketzer zu brennen." Für diese giftig forumulierten und ausgeprochenen Worte kassiert die Prinzessin direkt eine Backpfeife. Es schmerz sie sogleich sehr, allerdings nicht körperlich. Sie will nicht wahrhaben, dass ihr Herz bei dieser Berührung zerspringt. So sehr hatten sich die beiden angenähert. Es fing an mit kleinen, neckenden Stichelein, ersten vertraulichen Gesprächen, der gegenseitigen Auseinandersetzung und endete in einer Nacht, die beide nie vergessen werden. Und nun stehen sie hier. Streitende, wütende Kinder, welche sich gegenseitig Schaden zufügen wollen, obwohl sie doch nicht mehr wollen, als die Person ihr gegenüber an die Hand zu nehmen. "Ihr werdet jetzt wieder mit an Bord kommen. In einem oder zwei Tagen werden wir auf die englische Flotte treffen und dann könnt ihr zurück in euren Palast gehen und brave Prinzessin spielen. Und wenn ihr Königin seid, alt, grau mit einem Mann und drei Kindern, dann werdet ihr am Horizont die schwarze Flagge der Flying Dutchman erblicken. Und ihr werdet wissen, dass die Königin der See ihr Herrschaftsgebiet niemals aufgibt. Niemals. Und das letzte vor eurem Tod wird der Schrei einer Jungfrau sein!" Anné geht wütend an Elisabeth vorbei zu den Beibooten. Ihre Crew folgt ihr, ohne die Prinzessin zu beachten. Lediglich der Bootsmann wirft ihr einen mitfühlenden Blick zu. Er weiß, was diese Worte zu bedeuten haben, während die junge, angehende Königin diese Worte als albernen Bauernfluch abstempelt, als alberne Ketzerei einer Religion, die den Platz in ihrer Welt noch nicht kennt. Ihr Schuh wird später von der Welt geküsst werden und man wird sich vor ihr als Königin der Welt verneigen. England wird alle Länder unter ihren Einfluss bringen. Das russische Zarenreich wird ihr gehören, samt den östlichen Kulturen. Mit neuen Gefühlen der Machtgier, erwacht durch die Backpfeife, betritt sie eines der Beiboote und schweigt wieder. Weder würdigt sie Anné eines Blickes, noch spricht sie mit jemandem, aber ohnehin würde sie aktuell niemand beachten. So betreten sie auch die Flying Dutchman schnell. Während Anné persönlich wieder das Steuer übernimmt, sucht Elisabeth das Weite in der Nähe des Hauptmastes. Dem Blick von Anné konnte sie trotzdem nicht entkommen. Diesen spürt sie wie ein eiskaltes Messer in ihrem Rücken, welches sich durch ihr Fleisch bohrt. Egal wo sie hingeht, sie hat das Gefühl, dass der Blick Annè's auf ihr haftet wie ein unaufhörlicher Wärter, der ihr keine Ruhe lassen will.Anné verbrachte die letzte Nacht allein. Sie hat das Gefühl, dass Elisabeth sie verlassen wird. Ruhe findet sie keine. Die Kajüte wirkte immer wie ihr trautes Heim, ein Rückzugsort, aber seit dem riesigen Streit mit Elisabeth hatte sich dieser Ort gewandelt. Etwas fehlt hier. Etwas, ohne das der Raum nicht wirklich leben kann. Doch was spielt das schon für eine Rolle? Elisabeth würde zurück auf englischen Boden kehren, ihren Traumprinzen heiraten, viele Kinder auf die Welt setzen, den Thron besteigen, alt werden und sterben. Denkt Elisabeth gerade sie? Warum schläft sie lieber in der Kälte, anstatt bei ihr zu sein und all die schrecklichen Dinge des gestrigen Tages zu vergessen? Ist irgendetwas zerbrochen seit der besonderen Nacht? Hatte sie sich nicht ausreichend Mühe gegeben, um die Prinzessin stöhnen zu lassen? Die Gefühle waren doch echt! Oder etwa doch nicht? Hatte sie sich von Elisabeth benutzen lassen? Fragen über Fragen schwirren durch den Kopf der blassen Frau. Und die ganze Nacht würde sie keine Ruhe finden. Morgen muss sie sich entscheiden, welchem Schicksal sie nun folgen wird. Liebe oder Macht? Was ist Elisabeth wichtiger? Oder liebt sie diesen Prinzen doch mehr als sie? Diese Antwort würde sie morgen erhalten. Morgen entscheidet sich, ob sie sich nie wieder sehen oder ob ihre Wege vereint bleiben.
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Der Schrecken der Karibik | girlxgirl
FantasíaWenn der Nebel über der Karibik aufzieht, ist der Tod nah. Kein Licht lässt den Nebel aufklaren, kein Schrei dringt heraus und jede Hilfe wird zu spät sein. Willkommen auf der Flying Dutchman. Piraten siedeln sich zunehmend in der Karibik an, vor al...