Der Schrecken der Karibik - Kapitel vierzig

917 53 14
                                    

Es ist keine Stunde nach Beginn der Schlacht. In den Büchern den zukünftigen Büchern Geschichte wird sie nicht als fairer Schlagabtausch beschrieben oder als ein Kampf, in dem der Schweiß von Männern und die kühle See sich vereinen, um unter dem lauten Donnern von Kanonenkugeln, Pistolen und zerberstendem Holz zu erzittern. Dieser Kampf ist ungleich. Niemand wird in dem Buch schreiben, dass Elisabeth wie eine Wahnsinnige mit irrem lachen die Schiffe ihres eigenen Volkes versenkt. Hexerei wird man es nennen. Hexerei von Kapitän Anné Shanel wird es geschrieben stehen. Der ungleiche Kampf kippt mit einem einzigen Schuss, in dem die Kontrahenten Englands ihren Emotionen nachgeben. Die Kugel des kleinen Mannes trifft die Stirn von Anné, welche schwer keuchend nach hinten fällt. Natürlich ist sie nicht tot, aber das spielt auch keine Rolle. Sterben kann sie nicht. Ohnmächtig werden kann sie nicht. Doch es trifft genau ein, was er geplant hatte. "Anné? Anné!" Erschrocken ruft Elisabeth mehrmals den Namen ihrer Liebsten, welche eine Kugel im Kopf hat. Sofort kniet sie neben dieser Frau nieder, was zur Folge hat, dass die Angriffe des Meeres durch ihre Kräfte hören augenblicklich auf. Statt ihrem Zorn freien Lauf zu lassen und den schnöseligen, kleinen Mann zu versenken samt seiner Flotte, lässt sie die Liebe und Sorge Kontrolle über sich gewinnen und spielt dem hohen Tier der englischen Flotte genau in die Hände. "Na endlich", murmelt er und gibt ein Handzeichen. Hinter sich postiert hatte er ein Dutzend seiner besten Männer. Die besten zwölf Kämpfer seiner riesigen Flotte stürmen vor mit nur einem Ziel: Anné Shanel zu bekommen und Elisabeth zurück in ihre ach so geliebte Heimat bringen. Mutig kämpfen sich die Männer Englands durch und können sich sogar teilweise gut gegen die Unsterblichen behaupten. Sie nähern sich immer weiter dem verzweifelten Liebespaar, welches unfähig ist, zu kämpfen. "Um Himmels willen", spricht die Prinzessin etwas gläubig, obwohl sie nie das Christentum persönlich anerkannt hat. "Anné! Komm wieder zu dir! Du bist unsterblich wie ich! Nichts und niemand kann uns aufhalten! Steh auf!" Sie zerrt und rüttelt an dem Kapitän, welcher nur die Augen auf Elisabeth richtet und ihr an die linke Schulter fest greift. "Ich habe nur etwas Zeit benötigt, um zu mir zu kommen, Elisabeth", spricht sie in leisem, gefühlvollem Ton mit ihrer zukünftigen Frau. "Ein Schuss in den Kopf verkrafte selbst ich nicht so leicht." Langsam rappelt sie sich wieder auf, hält sich dabei an den Schultern ihrer Geliebten fest, welche dem Kapitän unter die Arme greift und ihr so eine Stütze beim Aufstehen ist. Manche Teile des Körpers halten Angriffen einfach nicht stand und führen zu kurzzeitiger Betäubung. Dazu zählt vor allem der Bereich des Gehirns. Wie durch Magie verwandelt sich die Kugel erst in Staub und dann zu Nichts, als hätte das Dasein unter Shi'raska einfach die Macht, alle Dinge vergehen und verschwinden zu lassen. Während dieses wenigen Sekunden Prozesses schauen sich die beiden Frauen an. Die Blicke begegnen sich und für diesen einen Augenblick ist die Schlacht vergessen. Nur der Schuss aus einer Pistole erweckt Anné wieder aus ihrem Traum sowie auch die junge Prinzessin und das zum richtigen Zeitpunkt. Etwa sechs Leute nähern sich ihr in schnellem Tempo, begleitet von einem kleinen Mann, den Kapitän Shanel nur zu gut wiedererkennt. "Na endlich treiben wir die kleine Ratte aus ihrer sicheren Höhle." Das treibt Anné natürlich ein sicheres Grinsen ins Gesicht. "Kümmere dich weiter um die Schiffe! Ich nehme mir diese Amateure vor!" So nehmen beide Frauen wieder den Kampf auf. Elisabeth versenkt die Schiffe in der Ferne, um ein Desaster zu vermeiden und die blasse Frau stürmt vor und springt auf das andere Schiff, um die Schwerter in einem aufregenden Tanz erstrahlen zu lassen. Die Säbel der Elite des kleinen Mannes krachen auf die von Anné Shanel. Die Front soll nicht auf ihr Schiff und auch nicht auf Elisabeth gelegt werden. Ihre Klinge tanzt, Schnitte platzieren sich auf ihrem Körper, doch dies alles bereitet ihr keinen Schmerz. Angetrieben von Hass und Liebe zugleich führt sie unglaubliche Paraden durch. Ihre Künste mit dem Schwert sind seit so vielen Jahren unangefochten und wenn sie sich hatte erstechen lassen, dann mit voller Absicht, um ihre Feinde zu verspotten. Rechts, links, rechts, links. Immer wieder kracht ihr Schwert auf das eines Feindes und immer wieder versucht sie eine Lücke zu finden, um wenigstens einen ihrer Angreifer loszuwerden. Ihre Männer sind zu sehr beschäftigt, um Elisabeth zu beschützen. Es ist also ihre Aufgabe, die Erbin der göttlichen Kraft des Meeres, ihre Geliebte zu beschützen. Sie ist zwar eine gute Fechterin, aber gegen diese Männer hätte sie nicht den Hauch einer Chance. Sie ist der letzte Schutzwall, die letzte Mauer, welche den Kern ihrer ganzen Operation beschützt. Nach und nach erhält sie immer kleinere Wunden, spießt sich freiwillig auf, um einen Angreifer zu enthaupten. Der Stich in ihre Brust schmerzt nicht, sondern lässt ihren Wunsch nach Tot erwachen. Ihr ruhiges Gesicht verwandelt sich in eine fiese Grimasse, in das Grinsen eines Dämons, welcher nichts anderes als Tod und Vernichtung sähen wird. Es scheint, als würde diese Veränderung ihr zusätzliche Kraft verleihen. Ihre Klinge bewegt sich immer schneller, ihr Säbel tötet erfolgreich den nächsten. Sie ist wie eine Gladiatorin. Sie fürchtet keinen Tod, keinen Teufel, den sie selbst ist es, die den Tod bringt. Ihre Kampfeswut drängt die Elite zurück, von denen bereits zwei gefallen sind. "Ist euch euer Mut vergangen? Ist das alles, was England zu bieten hat? Ist das wirklich alles?" Eure Flotte wird heute an der Flying Dutchman zerschellen und ihr werdet euch vor dem Meer verneigen!" Sie lacht auf, laut auf, wie eine Wahnsinnige, die es geschafft hat, etwas zu erschaffen, dass nicht von dieser Welt ist. Es ist normalerweise nicht ihr Stil, die Beherrschung zu verlieren und in Ekstase zu verfallen, aber heute, am Tag, wo England verliert und die Karibik endlich Freiheit erlangen wird. Männer und Frauen können wieder segeln, ohne Steuern, Gebühren und Überprüfungen und Zoll dem Opfer anheim zu fallen. Deshalb gönnt sie sich heute diese Freunde. Deshalb gönnt sie sich diesen vorzeitigen Triumph, der jedoch von kurzer Dauer ist. Ein Schuss fällt. Anné spürt genau, wen es getroffen hat und dreht sich herum. Sie sieht eine geschockte Elisabeth, die zwar unsterblich ist, aber nie eine Art Angriff auf so eine Art und Weise auf sich erfahren hat. Wie angewurzelt steht die Prinzessin da und starrt bleich und starr auf das Meer hinaus und kann sich auch nicht gegen die Klinge wehren, welche an ihre Kehle gehalten wird. "Wollen wir herausfinden, ob die Unsterblichkeit über Enthauptung hinausreicht, Kapitän Shanel? Ihr könnt mich gern töten, aber dann nehme ich euch alles, was ihr habt. Ihr werdet aber sicher wieder Liebe finden in... sagen wir, 3.000 Jahren?" Der kleine Mann bedroht die Tochter des Mannes, dem er die Treue schwor, dem König von England. Er ist skrupellos, was die Erfüllung seiner Aufgabe angeht und schreckt nicht zurück, hunderte oder tausende zu Opfern, um Anné Shanel zu Fall zu bringen. "Bitte. Tut ihr nichts", flüstert der Kapitän der Flying Dutchman geschwächt. Ihre Klinge lässt sie fallen und durch einen stummen Befehl folgen auch die Männer des ewig segelnden Schiffes. Elisabeth ist immer noch wie unter einer Paralyse. Ihre ganze Grausamkeit und ihr Zorn haben die Prinzessin nicht darauf vorbereitet wie es ist, wirklich der Angst gegenüberzustehen, ein Leben verlieren zu können. Sie weiß, dass sie unsterblich ist, aber die Angst, ihr Leben zu verlieren, überwiegt jede Logik und Vernunft. Innerlich schreit sie auf, dass sie sterben will, damit Anné in ihrem Zorn die ganze Flotte der Engländer auf den Grund des Meeres schicken kann. Doch es geschieht nicht. "Ihr werdet uns begleiten, Anné. Solltet ihr in irgendeiner Form Widerstand leisten, werde ich Elisabeth in so viele Stücke schneiden, dass sie sicherlich nicht mehr lebt." Nun versagen dem taktischen Kapitän des Schiffes der Meeresgöttin sämtliche Dienste. All ihr Denken hat sich deaktiviert und sie geht auf die Knie und senkt den Kopf. "Ich gebe auf. Lasst sie Leben. Wenn sie stirbt... ich könnte es nicht ertragen um ihretwillen." Lieber würde sie den Tod in Kauf nehmen, als dass sie zusehen muss, wie Elisabeth ihr wunderschönes Leben verliert. Lange hatte sie die See befahren und viele Dinge gesehen und die Liebe kennen gelernt. Vielleicht ist es an der Zeit, ein neues Schicksal zu wählen. Zunächst einmal muss sie sich selbst eingestehen, dass sie nicht unverwundbar ist. Elisabeth ist ihre einzige Schwäche. Und diese Schwäche hatte sie auf dem Silbertablett serviert. Sie hat sich selbst ihrer Rage hingeben und dafür Unachtsamkeit in Kauf genommen. Jetzt trägt sie den Preis dafür. "In all den Jahren... meine erste Niederlage... wegen einer Frau." Doch statt zu fluchen, lächelt sie. Sie lächelt, weil sie an Elisabeth denkt. Ihren Duft, ihren Körper, ihr lachen, an einfach alles von ihr. "Volle Kraft nach England. Verteilt die einzelnen Besatzungsmitglieder auf eines der Schiffe und lasst jeden von mindestens sechs Leuten bewachen. Dann kurz zurück zum Stützpunkt. Und nehmt die Dutchman mit!" Der kleine Mann hatte seine Befehle erteilt. Er genehmigt sich kein grinsen, kein Zeichen des Sieges, die ihn überheblich werden lassen können. Erst wenn er zurück im Hafen ist und die Dutchman auf seiner letzten Reise begleitet hat, dann würde er sich ein Lächeln gönnen.

Der Schrecken der Karibik | girlxgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt