In der Schule ist es ohne Jaron übrigens wieder schrecklich. Ich bin ja durchaus recht schnell im Denken und die anderen nicht. Darum mag mich ja niemand. Daran hat sich nichts geändert. Die anderen Kinder ignorieren mich im besten Fall aber meistens ärgern sie mich. Körperlich sind sie mir ja alle überlegen. Erst recht da ich inzwischen mal wieder eine Klasse übersprungen habe. Mit fünfzehn zwischen all den siebzehnjährigen zu hocken ist kein Zuckerschlecken. Erst recht nicht als ich nach ein paar Tagen den Stoff wieder zum Kotzen langweilig finde. Die Kids aus meiner jetzigen Stufe lassen mich weitgehend in Ruhe. Doch vor Noah und den Seinen muss ich mich höllisch in Acht nehmen. Die nehmen es mir persönlich übel dass ich dafür gesorgt habe dass Jaron aus der Hölle entkommen konnte. Sie machen mich jetzt dafür verantwortlich dass Noah nun im Kreuzfeuer seines Alten ist. Noah kommt nun öfters mit Veilchen und roten Striemen in die Schule. Er tut mir schon ein bisschen leid aber mein Mitleid hält sich in Grenzen wenn er anschliessend seine Wut an mir auslässt. Ich muss höllisch aufpassen dass ich ihm nicht versehendlich über den Weg laufe. Mich gegen die Wand schupsen ist noch die harmloseste Art mir guten Tag zu sagen. Jaron erzähle ich lieber nichts von Noah. Weder dass er nun von seinem Dad verhauen wird noch dass Noah mich verhaut. Da Jaron mir alles glaubt kann ich ihm erzählen dass ich im Sport gestürzt sei oder beim Telefonieren vor eine Laterne gelaufen sei. Jaron könnte ich auch erzählen dass ein Stein vom Himmel gefallen sei und mich verletzt hätte. Jaron würde es mir glauben. Er kümmert sich immer ganz liebevoll um meine Verletzungen und merkt sich auch jede Geschichte die ich ihm dazu erzähle, selbst wenn sie noch so absurd ist.
Für mich gibt es eine Konferenz dass ich das Abitur halt jetzt schon abschliessen darf. Ich bin meinen Lehrern ehrlich gesagt sehr dankbar. So kann ich der Schulhölle schon etwas eher entfliehen. Ich pauke ein bisschen den Stoff und bin mir sicher dass ich das Abi ganz gut bestehen werde. Jaron schaut mich aus riesigen erstaunten Augen bewundernd an. Er ist so stolz auf mich dass es echt süss ist. Ich bin so froh dass er hier bei mir ist und er mein Freund ist. Jaron versucht jeden Tag etwas nettes für mich zu tun. Meist gehen wir gemeinsam spazieren und er erzählt mir eine seiner Geschichten. Ich liebe Jarons Geschichten. Sie handeln immer noch von Feen, Trollen, Drachen und Zwergen aber sie sind nun nicht mehr so voller Gewalt. Meistens erleben die Fabelwesen Dinge die Jaron beschäftigen. Da ist ein Fahrradreifen platt und die Elfen wissen nicht wie sie den repariert bekommen. Sie brauchen das Fahrrad aber um in die Schule zu kommen. Doch die netten Zwerge helfen den Elfen und die sind hinterher beefreundet. Solche Sachen erzählt er. Seine Fabelwesen freunden sich an. Selbst der Drache wird immer netter. Er hilft sogar einem kleinen Dummerling als der sich im Wald verlaufen hat. Der Drache sucht ihn und weil es finstere Nacht ist spuckt der Drache ein bisschen Feuer damit der Dummerling den Heimweg finden kann. Ich bin froh dass die Geschichten alle gut sind. Jaron geht es gut. Das ist schön. Ich darf das Abi vorziehen und darum muss ich das erste mal in meinem Leben etwas für die Schule lernen. Die Nachmittage werden ab sofort anstrengend. Ich habe als Ziel dass ich mein Abi mit einer guten bis sehr guten Note abschliesse. Weniger wäre schlecht weil ich studieren möchte. Ich möchte einmal eine grosse Firma leiten und dann ganz viel Geld verdienen. Ich möchte Jaron ein angenehmes Luxusleben ermöglichen und darum pauke ich wie ein Verrückter. Jaron langweilt sich in der Zeit oft. Klar, ich habe ja kaum noch Zeit für ihn. Meist geht er darum zu den Gruppenangeboten und spielt mit den Kindern im Heim. In der Freizeit setzt er sich dann neben mich an seinen Schreibtisch und macht ganz gewissenhaft seine Hausaufgaben. Er fragt gar nicht mehr ob ich ihm helfen könne. Denn die Aufgaben die er hat kann ich nicht. Meist muss er malen. Jaron malt wirklich schön. Flechtbänder haben sie gerade und Jaron kann die komplizierten Knoten zeichnen. Jaron zeichnet sie sogar mit Schatten und seine Werke sehen hinterher aus als würde ein geflochtenes Band auf dem Papier liegen. Das Motiv ist zwar seltsam aber Jarons Technik bewundernswert.
Und dann malt Jaron eines Tages mich. Er hat sich seinen Block und seine Bleistifte geschnappt und sich so vor mich gesetzt dass ich ihn gar nicht bemerkt habe. Jaron zeichnet mich wie ich angestrengt über meine Büchern hocke. Es sieht aus wie ein Schwarz Weiss Foto was er anschliessend auf dem Papier hat. Doch Jaron sieht gar nicht ein dass das eine Gabe ist. Wenn ich ihm sage dass mir seine Bilder gefallen grinst er immer sehr unsicher und sagt: "Meinst du?" Und dann fängt er an seine Geschichten in Bilder zu malen. Die Elfen, Zwerge, Trolle und der Drache werden sichtbar. Jarons Bilder sind wunderschön. Sie zeigen sonnenbeschienene Wiesen, weite Täler, luftige Höhen, rauschende Bäche und das wogende Meer. Seine Bilder laden zum Träumen ein und ich liebe sie. Wenn ich so ein Bild sehe fallen mir immer seine Geschichten ein. Jaron schenkt mir viele seiner Bilder. Vor allem die mit dem Königssohn. Der schaut aus wie ich. In den Geschichten ist der kleine Elbenprinz immer die Rettung aus höchster Not und ich wundere mich dass er die Fabelfigur mit meinen Geschichtszügen malt. Ob er mich so sieht? Leider ist Jaron verstummt. Er erzählt kaum noch Geschichten. Wenn ich ihn frage fängt er manchmal an zu erzählen aber er bricht meist ab und erzählt nicht zu Ende. Ich frage mich weswegen er keine Geschichten mehr erzählen kann. Ob er erwachsen wird?
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Selig sind die hoffnungslosen, denn sie werden nicht enttäuscht.
RandomJaron lebt seit er denken kann im Schatten seines Bruders Noah. Noah ist intelligent, sieht gut aus, ist beliebt und der ganze Stolz seiner Eltern. Jaron ist Jaron. Er träumt gerne und im Traum kann er lesen und rechnen, dann hänseln ihn nicht alle...