35 Chris

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Marlenes Idee dass ich immer noch mit Gino befreundet sein könnte ist gar nicht soooo schlecht. Immerhin gibt mir auf diese Weise Gino weiterhin freiwillig seine brillianten Ideen. Ausserdem habe ich ihn nicht in meiner Wohnung und ich kann dort so wie immer leben. Ich mag es eigentlich gar nicht wenn jemand in meiner Wohnung ist. Die Vorstellung Gino ständig in meinem Reich ertragen zu müssen hat mir nicht gerade behagt aber ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen dass dieser Kluge Kopf so naiv ist mir seine Arbeiten freiwillig zu überlassen. Ich wollte sie ihm stehlen wenn er bei mir gewohnt hätte. Doch der einfältige Jaron färbt auf Gino ab und er benimmt sich genau so blöde wie sein zurückgebliebener Liebhaber: er vertraut mir seine Ideen an und stellt sie mir komplett zur Verfügung. Als Kommilitonen von uns ihn einmal darauf ansprechen lacht er nur und behauptet sich immer neue Ideen ausdenken zu können. Aber er sei nun mal mit mir befreundet und Freunde unterstützen sich gegenseitig. Mir geht diese Bemerkung näher als Gino sich vorstellen kann. Ich nutze den kleinen Schlaukopf nur aus, ich gebe ihm nichts zurück. Im Gegenteil. Seit der Bemerkung beschliesse ich etwas netter zu Gino und seinem Freund zu sein. Ich bemühe mich den Jaron nicht mehr komplett abzulehnen sondern zu akzeptieren dass er zu Gino gehört. Die beiden gehen wirklich sehr liebevoll miteinander um und seit Gino Jaron beigebracht hat wie man vernünftig isst gehe ich gerne mit den beiden essen. Natürlich nicht nach Mac Donalds. Obwohl die beiden Fastfoodketten bevorzugen überrede ich sie zumindest in ein halbwegs anständiges Lokal zu gehen. Jaron wirkt dort zu Anfang immer sehr fehl am Platz. Doch mit seinen neuen Tischmanieren ist er von mal zu mal gelassener. Und obwohl sich die beiden nie Wein sondern stets nur Saft oder Saftschorle zu ihrem Essen bestellen werden die Abende kurzweilig. Gino kann sich gut unterhalten und Jaron stört nicht. Er wackelt nicht mehr nervös mit den Beinen seit dem Gino seine Hand auf dem wippenden Knie ablegt. Er knibbelt nicht an seinen Fingern wenn Gino Jarons Hände beruhigend hält. Ich frage mich ja wieso Jaron immer mit kommt. Ihm können die Abende mit mir doch nicht gefallen. Er ist zu dumm um unserer Unterhaltung zu folgen. Doch wenn ich zu Jaron rüber schaue blickt der stets bewundernd zu Gino. Ich glaube er geniesst einfach neben klugen Menschen sitzen zu dürfen. Immerhin gehört er auf die Strasse und es ist eine grosse Gnade dass er nun hier in einem chicen Restaurant sitzen darf und sich auf Ginos Kosten satt essen kann. Als ich einmal eine Bemerkung fallen lasse dass Gino den Jaron aushält sagt Gino ganz erstaunt: "Aber nein, bisher bekomme ich kaum Geld ausser dem Bafög. Jaron ist derjenige der bei uns zu Hause das Geld verdient." Nun ist es an mir erstaunt zu gucken. Wer, bitteschön stellt so einen Hohlkopf ein und gibt ihm dann noch Geld dafür? Der Junge kann kaum vernünftig sprechen, geschweige denn rechnen. Der Arbeitgeber könnte Jaron auch mit Pfennigen bezahlen und der wäre zufrieden. Gino erklärt mir dass sie Jarons Bilder vermarkten. "Also machst doch du die Kohle." lächle ich zufrieden. Gino ist Jarons Aufpasser. Hätte ich mir doch gleich denken können. Als er mir dann aber erzählt wie viel Kohle sie verdienen bleibt mir meine Jacobsmuschel im Hals stecken. Wahnsinn! So viel verdient nicht mal meine Schwester und die ist bei unserem Dad in der Firma im Vorstand und hat eine eigene Abteilung unter sich. Gino lacht ein bisschen über mein verdattertes Gesicht. Doch als ich hinter das Arbeitskonzept der beiden gestiegen bin frage ich Gino: "Was macht Jaron dann eigentlich hier? Ich mein, du hast gerade gesagt dass er malt (und damit bares Geld verdient) wenn du nicht zu Hause bist. Das Essen hier kann er kaum geniessen aber ihr verliert tausende von Euros wenn er hier rumlungert?" Jaron senkt sofort beschämt seinen Kopf. Bingo! denke ich. Da hab ich wohl den Nagel auf den Kopf getroffen. Aber Gino meint nur "Er malt wenn ich in der Uni bin. Wenn ich zu Hause bin dann nutzen wir die Zeit für uns. Jaron hat keinen zwölf Stunden Tag." Ich schaue Gino erstaunt an. Da hat er einen Goldesel neben sich sitzen und nutzt ihn nicht aus. Der Kleine ist wirklich dämlich. "Jaron ist kein Esel!" zickt Gino mich darauf hin an. Ich muss etwas grinsen. Jaron ist so dumm wie ein Esel und ausser Malen kann er nix. Wieso um Himmels Willen behandelt Gino Jaron nur so gut? "Weil Jaron mein Freund ist. Ich liebe ihn und ich würde ihn auch lieben wenn er nicht malen würde." sagt Gino und ich schaue den Kleinen phasziniert an. Das Konzept "bedingungslose Liebe" habe ich mein ganzes Leben noch nicht verstanden. Bisher ist es mir auch noch nie im realen Leben begegnet. Jeder erhofft sich doch einen Vorteil von der Person die er liebt, oder? Entweder körperliche Befriedigung oder materielle oder sonst was. Ich wäre mit Gino nicht befreundet wenn er mir nicht die guten Ideen liefern würde. Und zum ersten mal seit Monaten sagt Jaron was: "Das ist der Unterschied zwischen Gino und dir. Gino kann lieben." Nun bin ich geplättet. Wieso glaubt der schmutzige Bengel dass ich nicht lieben könnte? Ich kann das genau so gut oder sogar besser als jeder andere Mensch! Immerhin gehöre ich zu der besseren Schicht und die können alles besser. Wir machen die besseren (teureren) Geschenke und wir gehen besser essen. Gino und Jaron wüssten bis heute nicht wie Kalbsfleisch oder erlesene Meeresfrüchte schmecken wenn ich sie nicht hier her gebracht hätte. "Was hättet ihr eigentlich mit eurem Geld gemacht wenn ich euch nicht gezeigt hätte wie man es ausgibt?" frage ich die beiden und Jaron wird knallrot und schaut verschämt seine Füsse an. Gino lacht nur herzlich und er sagt: "Dann hätten wir es gespart. Jaron wird vielleicht nicht immer so erfolgrech sein und dann müssen wir von dern Ersparnissen leben." Oh, mann! Da sind die beiden steinreich und sie tun dennoch so als seinen sie bettelarm. Leben weiterhin in ihrer viel zu kleinen Einzimmerwohnung, tragen Anzüge von der Stange und putzen ihre Schuhe selber. Es war so unendlich peinlich als ich mit Gino und Jaron beim Schuhkauf war und sie sich die ganzen Pflegetipps und Pflegeprodukte für ihre Schuhe haben aufschwätzen lassen. Ich werde die beiden nie verstehen.

Selig sind die hoffnungslosen, denn sie werden nicht enttäuscht. Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt