𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟚𝟛

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                                                  𝕏𝕖𝕟𝕚𝕒𝕤 .𝕆.𝕍.
Lesenacht [3/6]

»Mr Cadoc, Ms Maxwell.«. Er nickte uns zu. »Ich bin Kommissar Howard und übernehme ab hier.«. Mir fiel auf, dass ich Gideons Nachnamen vorher noch nie gehört hatte. »Gegen Sie liegt eine Anzeige vor, Mr Cadoc. Körperverletzung, keine schöne Sache. Haben Sie irgendwas dazu zu sagen?«, fragte Howard.

Gideon sagte mit dem perfektem Pokerface, »Ich habe mich nur verteidigt.«.

»Verteidigung ist so eine Sache. Möchten Sie mir einmal schildern, was passiert ist?«.

»Klar.«, antwortete Gideon. »Meine Freundin wollte ihre Sachen holen, hatte aber Angst alleine zu gehen, weil ihr Adoptivvater gewalttätig ist und sie schon mehrmals misshandelt hat. Also bin ich mitgekommen, um, wenn es nötig ist, dazwischen zu gehen. Als sie aufs Haus zugegangen ist, wurde sie direkt beschimpft und ihr Adoptivvater wurde handgreiflich. Als sie wieder aufgestanden war, wollte er das Gleiche wieder tun und da bin ich dazwischen gegangen und hab ihm gesagt, dass er das lassen soll. Als ich ihm den Rücken zugewandt hatte, um zu sehen wie es ihr geht, holte er aus, um mich auch zu schlagen. Ich hab seine Fäuste zum Glück noch rechtzeitig aufgefangen können. Ich hab ihm gesagt, dass ich keinen Stress möchte und, wenn er uns jetzt in Ruhe lässt, nichts von mir befürchten muss. Dann habe ich ihn losgelassen. In dem Moment holte er wieder zum Schlag aus. Da ich zu spät reagierte, um ihn zu stoppen, habe ich ihn geschlagen. Aber nicht so feste wie er es getan hätte. Danach sind wir hochgegangen und haben ihre Sachen gepackt.«, erzählte er zu Ende.

Howard ließ kurz sein Pokerface fallen und sah geschockt aus. Doch er fing sich schnell wieder und als er bemerkte, dass ich ihn anguckte lächelte er. »Haben Sie noch irgendetwas dazu zu sagen, Ms Maxwell?«.

»Allerdings, ich möchte ebenfalls Anzeige gegen meinen Adoptivvater erstatten.«, antwortete ich. »Seit meine Familie vor ein paar Jahren ums Leben gekommen ist, lebe ich bei dieser Pflegefamilie. Doch sie haben mich nie geliebt. Der Mann, der sich als mein Vater ausgibt, misshandelt mich. Er lässt mich für mein Essen arbeiten, nur um mir das Geld danach abzunehmen. Sie haben sich nie um mich gekümmert, wenn irgendwo etwas schief gelaufen war, gab man mir die Schuld und ich wurde bestraft.«. Diese Erzählungen riefen Erinnerungen in mir wach, an die ich mich nie wieder erinnern wollte, und mir stiegen Tränen in die Augen. »Seine Frau sah immer nur tatenlos zu und seine Tochter war froh, dass sie einen Sündenbock für ihre Missgeschicke gefunden hatte. Eines Abends hörte ich sie leise reden, dass sie mich nur wegen des extra Kindergeldes aufgenommen hatten. Als sie mich entdeckten, warf er eine Vase auf mich. Eine Scherbe steckte so tief in meiner rechten Schulter, dass ich ins Krankenhaus musste.«.

Bei den Worten zog ich mein T Shirt etwas runter, damit er die Narbe sehen konnte.
Ich schaute zu Gideon rüber und er sah ziemlich schockiert aus, Howard ebenfalls.
Ich berührte die Narbe leicht und sofort wurden weitere Erinnerungen wach und ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie rannen mir in heißen Wasserfällen die Wangen hinunter und Gideon nahm mich in den Arm.

Howard rückte seine Maske zurecht und sagte, »Das hört sich alles sehr tragisch an und ich werde der Sache auf jeden Fall auf den Grund gehen. Bis auf weiteres müssen Sie erstmal hier warten bis Ihre Aussage gänzlich bearbeitet wurde. Da Sie noch minderjährig sind, wäre es mir ganz recht, wenn Sie ihre Eltern anrufen würden, Mr Cadoc. Ich würde gerne noch einiges mit ihnen besprechen.«, Gideon nickte und Howard begleitete uns zu einem Wartebereich.

»Ich werde eben Jace anrufen.«, sagte Gideon, während er sein Handy rausholte. Plötzlich spürte ich ein leichtes Kribbeln unter meiner Haut. Ich schaute irritiert auf mein Handy und da sah ich es. Die Kalendererinnerung, dass heute Vollmond war. Leise fluchend schaute ich verstohlen auf meine Hände, doch da war zum Glück nichts zu sehen. Ich atmete erleichtert auf.

Gideon hatte inzwischen aufgelegt und ich stupste ihn an, um ihm die Erinnerung zu zeigen. Er fluchte ebenfalls leise. »Können wir nur hoffen, dass die bald mit ihrer Bearbeitung fertig sind und Jace sich beeilt.«, flüsterte er mir zu.

Keine fünf Minuten später betrat ein etwas regennasser Jace, der aber keinesfalls außer Atem war, die Wache. Er ging zu dem Polizisten am Empfang, der dann auf uns zeigte.

»Hey, alles in Ordnung?«, fragte Jace als er reinkam. Er strich sich die nassen Strähnen aus den Augen und hörte Gideon aufmerksam zu, während der ihm die Situation schilderte. Auch Jace schien die Wirkung vom Vollmond zu spüren, denn ich konnte seine Nervosität quasi riechen. Er lehnte sich an die Wand und starrte auf seine schwarzen Sneaker. Seine schwarze Jacke hatte er über seinem nassen weißen T-Shirt zugemacht. Von den Fäden seiner ausgeblichenen Risse-Jeans tropfte gelegentlich mal etwas Wasser runter.

Nach ein paar Minuten kam Howard und schien sichtlich etwas überrascht Jace anzutreffen.

»Hallo, Jace Cadoc, ich bin Gideons Bruder. Unser Vater ist leider verhindert, deswegen bin ich hier.«. Er hielt ihm die Hand hin und Howard ergriff sie perplex. »Kommissar Howard, ich bin zuständig für diesen Fall.«.

»Ich hoffe, es dauert nicht mehr allzu lang?«, fragte Jace.

»Da muss ich gleich einmal nachfragen, aber zuerst möchte ich mit Ihnen unter vier Augen reden.«, antwortete Howard.

»Natürlich.«, sagte Jace verständnisvoll und folge Howard in sein Büro. Die Minuten vergingen und draußen wurde es langsam, aber sicher dunkel und der Mond ging auf.

Time Wolf  Wie das Blut in meine Lippen flossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt