„Crystal, nein. Es ist zu kalt draußen, um ohne Mantel rauszugehen." Sie zog das kleine Mädchen sanft, aber bestimmt zurück in die Eingangshalle und schloss die Tür hinter sich. Augenblicklich wurde es wieder wärmer und man konnte anstelle des heulenden Schneesturmes das warme Prasseln des Kaminfeuers hören. Crystal zappelte in den Armen ihrer Mutter herum, sie wollte wieder runter und im Schnee spielen, so wie sie es gestern getan hatte. Schon immer hatte sie den Winter geliebt und dem Sommer vorgezogen, doch Liriope hielt sie entschieden fest und trug sie in die Küche. Selbstverständlich hätte sie mit ihren fünf Jahren auch ganz allein laufen können, aber sie kannte ihre Tochter und deren fixe Ideen. Hatte sie sich einmal was in ihren kleinen, süßen Sturkopf gesetzt, wollte sie es auch unbedingt durchsetzen. Dieses Mal aber schaffte ihre Mutter es, sie davon abzuhalten.
„Oh nein, du kleiner Wildfang.", rief sie und kitzelte Crystal durch, bis diese sich quietschend und lachend wand, „Du hilfst Locke und mir jetzt beim Backen." Eine Weile quengelte sie noch herum und versuchte, nach unten zu klettern, schließlich aber gab sie auf und hielt still. In der Küche wartete ihr älterer Bruder bereits und wuschelte ihr kurz durch die Haare, nachdem Liriope sie wieder abgesetzt hatte und sie endlich aufhörte, nach Schnee zu jammern. Schon kicherte sie wieder und fiel ihm um den Hals. Ihre Mutter sah lächelnd zu ihnen, dann schweiften ihre Gedanken ab, während ihre Augen die zwei winzigen Gläser auf der Anrichte streiften. Ohne seine Hilfe hätte sie sie niemals bekommen, doch der Preis war hoch gewesen und sie hatte ihn schon oft gezahlt. Bald würde sie ihren Kindern die Magie der Artefakte beibringen, zumindest war das ihr Plan, vielleicht hatten sie dann eine bessere Chance als sie. Sie hatten beide eine Art von Potential, in die sie vertrauen konnte...vertrauen wollte.
„Mom, Crystal spielt mit dem Teig." Die Stimmt ihres Sohnes ließ sie aufblicken und leise lachen. Mit einer Handbewegung ihrerseits hörte der Keksteig auf zu schweben und plumpste zurück in die hölzerne Schale. Crystal schob enttäuscht die Unterlippe vor, arbeitete dann aber ganz normal weiter. Liriope schmunzelte und sah wieder aus dem von Eisblumen bewachsenen Fenster. Das Lachen der Kinder trug, weit fort, weg von allen Sorgen. So brauchte sie einige Sekunden, bis sie die Gestalt erkannte. Für einen Moment wurde sie blass, dann sah sie genauer hin. Nein, sie hatte sich nicht getäuscht. Er war es. „Ich bin gleich wieder da, ihr zwei. Macht einfach weiter.", murmelte sie geistesabwesend und verließ die Küche. Crystal sah ihr verwirrt hinterher, doch wie es ein Kind eben tat, machte sie sich keine großen Gedanken, sondern fuhr damit fort, kleine Teigkrümel zu naschen, bis Locke anfing, sie auszuschimpfen, ohne dabei wirklich böse zu sein.
Als sie die Tür öffnete, fegte ein kalter Windstoß den Besucher hinein und riss ihm die Kapuze von den goldenen Locken. „Dain.", stellte sie mit gemischten Gefühlen fest. Für gewöhnlich besuchte er sie nicht, sie mussten alles geheim halten. Dains Miene war kalt und unberührt, während er den Frost von seinen Schultern klopfte. „Guten Abend Liriope. Können wir kurz sprechen?" Der Tonfall seiner Stimme lag weit unter dem Gefrierpunkt und ließ sie erschaudern. „Ja...natürlich können wir das. Oben in meinem Zimmer, ich muss nur kurz nach meinen Kindern sehen und..."
„Nein. Jetzt." Er verengte sie Augen und blickte sie mit eisigem Blick an. Sie erstarrte und wollte eigentlich wiedersprechen, doch seine drohend zusammengepressten Lippen und seine dunkle Ausstrahlung brachte sie dazu zu schweigen und sich nickend umzudrehen. Sie ahnte ja nicht, dass sie schon wenige Monate später sterben sollte.

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Elfenring
Romance(Teil zwei der Reihe. Band eins: Elfenkuss) Die Welt scheint perfekt: Madoc hat seine Pläne aufgegeben und sitzt im Turm des Vergessens, das Geheimnis um Crystals Vergangenheit wurde gelüftet und die Hochzeit ist gerade in Planung. Doch ein Schatten...