Kapitel 6 ~ Meer aus Blut

69 4 0
                                    

„Glaubst du, es ist schon was passiert?" Cardan seufzte und lehnte seinen Kopf mit einem genervten Knurren gegen meine Stirn. Ich wurde rot, weil er mich so entschieden ansah und ich nicht von ihm wegkonnte, da er auch noch meine Hüfte festhielt. So ging das seit dem Besuch der Tiefsee fast immer. „Hör doch endlich auf, dir die ganze Zeit Gedanken machen. Sie bekommen das schon hin. Die Frist ist gerade erst abgelaufen." Ich drehte mich weg und versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren. Natürlich machte ich mir Sorgen. Die Leute, die ich am Ehesten als meine Freunde bezeichnete, waren kaum zehn Meter von der Küste entfernt und konnten jeden Moment verletzt werden. Ich konnte nicht verstehen, wie Cardan so ruhig mit dem Thema umgehen konnte. „Wir wissen doch nicht einmal, wie sehr die Tiefsee auf Widerstand von unserer Seite aus vorbereitet war und wie bereit sie schon sind.", warf ich leise ein, „Und was ist, wenn Nicasia schon Informationen an Orlagh weitergegeben hat?"

„Cryssie, Geist hat Nicasia die letzten drei Tage fast ununterbrochen beschattet, es wäre ihm aufgefallen, wenn sie mit der Tiefsee in Kontakt getreten wäre. Du malst dir viel zu viele Unheilsszenarien aus. Denk doch mal optimistisch."

„Aber seit heute Morgen achtet keiner mehr auf sie, weil Geist, Kakerlak und Bombe die Häuser, die nahe am Meer stehen, evakuieren.", beharrte ich mit einem heftigen Kopfschütteln. Die Frist war abgelaufen und wir hatten keine Nachricht an Orlagh geschickt. Wenn sie ihre Drohung wirklich wahrmachte, dann würde Elfenheim in einen Krieg ziehen, wie er seit Jahrhunderten nicht mehr getobt hatte. Und ich war die, die sich dafür verantwortlich fühlte. Ich wusste, wie dämlich das war, aber allein der Gedanke, dass Cardan vielleicht auf den Vertrag eingegangen wäre, wenn es mich nicht gäbe, und Elfenheim damit sicherer sein könnte, ließ meine Gewissensbisse steigen. „Meine Güte, jetzt lass das! Du regst mich manchmal echt auf, wenn du so panisch bist!" Cardan ließ mich abrupt los und drehte sich um. Augenblicklich wurde mir eiskalt und ich wünschte mir, nichts gesagt zu haben, damit er jetzt nicht wieder so reagierte. „Tut mir leid...", murmelte ich betreten, „Ich will nur nicht, dass etwas schiefläuft und wir schuld sind."

„Dann hab mehr Vertrauen in die anderen und in mich."

„Ich vertraue euch doch! Aber ich traue dieser Situation nicht." Ich setzte mich ruckartig auf, sodass ich nun sehen konnte, dass Cardan zwar über seine Schulter zu mir sah, aber noch immer mit dem Rücken zu mir lag. Sein Schweif strich kurz über meine Finger, während er den Kopf schüttelte. „Denkst du denn, dass ich das tue? Ich will genauso wenig plötzlich erfahren müssen, dass die Tiefsee angegriffen haben könnte, wie du. Aber ich versuche, nicht jedes kleinste Horrordetail in meinem Kopf zu haben, sonst komme ich nicht mehr damit klar." Ich schwieg kurz und betrachtete ihn. Für ein paar Sekunden hatte ich tatsächlich vergessen, dass nicht nur ich Schuldgefühle haben könnte, sondern auch er. Natürlich hat er welche. Es ist am Ende seine Entscheidung, ob Elfenheim mit der Tiefsee Krieg führt.

„Du hast ja recht, ich sollte versuchen, nicht mehr so viel zu denken. Das ist nur nicht so einfach wie es klingt. Aber ich versuche es, ja?" Er rührte sich zuerst gar nicht, dann nickte er und setzte sich ebenfalls auf. „In Ordnung. Heißt das, alles ist wieder gut?", füge er hinzu und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Ich zuckte mit den Schultern. Alles war nie gut, das wussten wir beide. Er verdrehte die Augen und grinste resigniert. „Ich meine, mit uns?"

„Natürlich ist es das. Entschuldige, wenn du deswegen dachtest, dass irgendwas nicht mit uns in Ordnung ist." Cardan zog eine Augenbraue hoch und obwohl er mich eng an sich drückte und ich merkte, dass sein Herz schneller schlug als sonst, konnte ich die Missbilligung in seinem Blick sehen. „Entschuldige dich nicht so oft, wenn was nicht schlimm ist. Kuscheln." Okay, das konnte man dann wohl einen gekonnten Themawechsel nennen. Cardan zuliebe gab ich mir Mühe, mir keine Gedanken über diese Worte zu machen und die Augen wieder zu schließen. Es war zu spät, um jetzt noch etwas anderes zu tun. Mit einem leisen Gähnen lehnte ich meinen Kopf gegen seine Schultern und atmete bald ruhiger. Irgendwann ließ Cardan sich nach hinten fallen, sodass wir wieder lagen, wobei er mich noch immer festhielt. Wir sprachen nicht, Worte hätten das hier vielleicht wieder zerstört oder neue Hektik in diesen Moment gebracht. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte die Zeit genau jetzt stehenbleiben können.

ElfenringWo Geschichten leben. Entdecke jetzt