Kapitel 28 ~ Ashas Erbe

25 2 0
                                    

Crystals Sicht:

Als die Tür hinter Nicasia zugefallen war, atmete ich langsam aus. Alle Ruhe, die ich vorgegaukelt hatte, verschwand, wich Schmerz und Angst. Es brachte mich zum Zittern, mein Blick verschwamm.

Locke.

Er war es gewesen, die ganze Zeit. Ich hatte gewusst, dass er mich nicht leiden konnte, ich hatte gewusst, dass es ihm nicht passte, dass ich weggelaufen war und ich hatte gewusst, dass er mich seit unserem Wiedersehen im Blick gehabt hatte. Aber niemals hätte ich erwartet, dass er so weit gehen würde, Cardan zu vergiften, seinen Tod und das Ende der Stechwinden zu riskieren, nur um mir eines auszuwischen. Das wohl erschreckendste für mich war jedoch, dass alles Sinn ergab.

Jude hatte mir erzählt, dass das Glas, in dem sich das Gift befunden hatte, laut der Dienerin von ihr angefordert worden war, obwohl das nicht gestimmt hatte. Wenn Taryn sich aber als Jude ausgegeben hatte, würde das einiges erklären. Das Glas, in dem das Gift sich ursprünglich befunden hatte, war immer für meines gehalten worden, aber das war es nie gewesen. Ich wusste nur von zwei Personen außer mir, die solche Gläser besaßen, eine davon war Gift und die andere Locke.

Ich konnte alles logisch erklären und trotzdem war der Schmerz unverständlich für mich. Warum tat es jedes Mal, wenn er mich verriet wieder so weh? Die ersten Tränen fielen und landeten auf meinen Handgelenken. Sie flossen von meinen Augen herab wie salziges Blut, das einst aus meinen Wunden gefallen war. Ich kannte die Antwort auf meine verzweifelte Frage nach dem Warum bereits.

Ich hatte noch immer an das Gute in meinem Bruder geglaubt. Ich hatte noch immer gedacht, dass es unmöglich war, dass wir so grundverschieden sein konnten. Ich hatte mich daran festgehalten, dass wir noch nicht vollständig zerrissen waren, ohne zu merken, dass ich ins Nichts gegriffen hatte. Und nun brach dieses Nichts über mir ein und begrub alles unter sich.

„Crystal?"

Ich zuckte erschrocken zusammen und riss den Kopf nach oben. Durch die Tränen, die noch immer vereinzelt an meinen Wimpern hingen, konnte ich kurzzeitig nichts erkennen. Erst, nachdem ich blinzelte, klärte mein Sichtfeld sich. Oriana stand in der Tür, sie trug inzwischen die üblichen Gewänder einer Vertrauten, nur dass sie blau waren anstatt wie bei Pandora damals rot, und hatte eine besorgte Miene aufgesetzt.

Ich schniefte hastig und rieb mir über die Augen, um nicht mehr so verzweifelt auszusehen. „W-was machst du denn hier? Solltest du nicht ... naja ... schlafen?" Sie seufzte leise und schüttelte den Kopf, während sie zu mir kam und die Tür hinter sich schloss. Dem mitfühlenden Schimmern in ihren Augen zufolge, sah man mir den Schmerz noch immer an. „Ich habe soeben erfahren, dass Prinzessin Nicasia mit dir gesprochen hat und als ich gesehen habe, wie sie gegangen ist, wollte ich nach dir sehen. Möchtest du darüber reden, was passiert ist?"

Sie kniete sich neben meinem Stuhl auf den Boden und legte mir tröstend eine Hand an die Wange. Ab diesem Moment brach mein Damm erneut und ich schluchzte lauter als zuvor. Mein Körper begann, unkontrolliert zu zittern und ich musste mich am Tisch festhalten, um zu verhindern, dass ich vom Stuhl rutschte.

Oriana sagte nichts. Sie nahm mich einfach nur in die Arme und schwieg, ließ mich weinen und zittern, spendete Ruhe und Wärme. Unentwegt strich sie mir über die Haare, sorgfältig darauf bedacht, die Krone nicht zu berühren. Eine ganze Weile blieben wir so, bis ich mich wieder beruhigt hatte, nicht mehr glaubte, jeden Augenblick das Bewusstsein zu verlieren.

„Es war Locke.", brachte ich schließlich brüchig hervor, „Er hat Cardan vergiftet, Nicasia hat es mir erzählt. Sie hat ihm geholfen einen Teil des Gifts zu besorgen, ohne zu wissen, wofür. Oriana, er ... er wollte mich im Turm sehen. Cardan ... tot. Ich verstehe das nicht ... warum? Warum hasst er mich so sehr?!"

ElfenringWo Geschichten leben. Entdecke jetzt