Epilog

39 1 1
                                    


Die Nacht brach über die drei Inseln herein. Elfen, die noch nicht erwacht waren, standen auf und verschmolzen mit der Dämmerung, wie sie es immer taten. Frühe, goldene Herbstblätter tanzten durch den Himmel wie Funken eines gewaltigen Feuers. Trotz des Windes war es nicht kalt.

Zugleich lag noch etwas anderes in der Luft. Wie ein nervöses Summen breitete es sich von Insmire aus, ein Flüstern, rau und leise, getragen von der Luft selbst. Magie. Ein Teil der Magie von Elfenheim, der Teil, der so lange unter der Wasseroberfläche gebrodelt hatte, kehrte zurück.

Der Hochkönig würde in weniger als einer Stunde wieder einen Schritt auf seinem Land machen.

Die Freude und Aufregung waren förmlich spürbar. Die Erde wurde warm wie im Sommer, die Herbstblumen erblühten, Trauben schienen schneller zu reifen. Elfenheim nahm die Emotionen seiner Bewohner, seines Königs, wahr und wandelte sie um, wie das Reich es immer tat. Der Frühherbst zeigte sich von seiner allerschönsten Seite, noch schöner als sonst.

Es gab einen Ort im Reich, den die Botschaft noch nicht erreicht hatte.

Im Zentrum des Palastes, zwei Stockwerke über dem Thronsaal saß eine junge Frau – man konnte sie beinahe noch ein Mädchen nennen, wäre da nicht ein gewisser Schimmer von zu viel Schmerz in ihren Augen gewesen – über einen gewaltigen Stapel Papiere gebeugt. Der dunkle Schreibtisch quoll über vor sorgfältig sortierten und gleichzeitig unübersichtlicher Haufen. Crystal war vermutlich einer der wenigen, die sich in diesem Chaos zurechtfand.

Sie arbeitete nicht. Ihre Hand schwebte reglos über dem Papier, blutrote Tinte tropfte von dem Federkiel auf ihre Finger, malte Flüsse und Seen. Meere.

Ihre Augen waren gerötet, doch sie weinte schon lange nicht mehr. Nur in ihre Gedanken versunken war sie, mehr nicht. Neben ihr lag der Teil der noch nicht bearbeiteten Aufgaben, die sich allein auf Papierarbeit bezogen. Eigentlich hatte sie begonnen, so früh zu arbeiten, weil sie nicht hatte schlafen können. Das war vor mehr als fünf Stunden gewesen.

Ihr Blick schweifte durch den Raum und fiel auf die Krone. Sie lag im angrenzenden Schlafzimmer, durch die Tür konnte Crystal sie sehen. Unwillkürlich stand sie auf und ging zu der Kommode, auf der die runde Kiste stand. Die Krone lag darauf, sie hatte gestern vergessen sie aufzuräumen, bevor sie schlafengegangen war. In letzter Zeit geschah das öfter, weil sie mit ihrem Kopf in der Vergangenheit gewesen war. In einer Zeit, in der ihr Bruder noch bei ihr war. Und da waren noch andere Gründe, doch die wollte sie selbst noch nicht hören.

Es tat noch immer weh, egal, wie sehr sie versuchte, es wieder zu ändern. Es war unmöglich.

Ihre Finger fuhren über die Dornen, die gezackten Blätter aus Rubin und die hauchzarte Diamantrose. Für einen Moment kam sie ihr zerbrechlicher als sonst vor, doch als sie ihre Hand wieder zurückzog, fühlte sie nichts außer einem warmen Prickeln an ihren Fingerspitzen, als würde die soeben erst untergegangene Sonne darauf scheinen.

Ihre Finger hinterließen winzige rote Flecken auf dem Kristall, doch es fiel ihr gar nicht auf, so sehr war sie von diesem Gefühl fasziniert. Es löste etwas in ihr aus, ihr Herzschlag wurde schneller. Vielleicht würde sie sich eines Tages tiefer mit diesen speziellen Artefakt beschäftigen. In der Zukunft, wenn ihr Herz weniger daran hing.

Obwohl Crystal wusste, dass sie nicht zur Ruhe kommen würde, spürte sie wie die Müdigkeit sie übermannte, sich wie ein Mantel um sie schlang und in seiner sanften Umarmung mit sich zog. Sie gab nach, nur um mit geöffneten Augen in dem für sie allein viel zu großen Bett zu liegen. Die Seite, auf der sie auch sonst nicht schlief, rührte sie nicht an, doch sie betrachtete sie und versuchte, sich vorzustellen, dass Cardan dort lag und wieder einmal seinen Rausch ausschlief. Sie lächelte ein trauriges Lächeln.

ElfenringWo Geschichten leben. Entdecke jetzt