Kapitel 32 ~ Urteil

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„Locke Staircraí. Empfindest du Reue dafür, was du all diesen Leuten – Cardan, Jude, Nicasia, Taryn, mir und jedem anderen irgendwie Beteiligtem – angetan hast?"

Die Worte verklangen in der Luft wie Rauch, die Wände warfen ein Echo zurück, nicht laut oder auffällig, aber existent. Erst, als sich die Klänge ineinander verfangen hatten und dieser Käfig aus Ton sich aufgelöst hatte, kehrte Stille ein.

Lockes Augenbraue wanderte in die Luft, er grinste nicht länger, hatte nur noch seine wie üblich gelangweilte Miene aufgesetzt. Er gähnte betont desinteressiert, ehe er mir eine Antwort gab. In dieser Zeit hörte ich nur, wie Jude ihre Fingernägel fest in ihre Handballen grub, vermutlich, um ihn nicht sofort anzuspringen.

„Crystal, hast du etwa schon so viel von mir vergessen, seit du abgehauen bist? Denk doch einmal nach. Jetzt hast du diese letzte Frage ganz umsonst verschwendet. Ich hatte dich für klüger gehalten, immerhin fließt noch immer das gleiche Blut in uns. Und du hältst mich wohl für menschlicher als ich bin. Das werte ich als Beleidigung. Ich bin entsetzt."

Mei eigner Atem schnürte mir die Kehle zu, ich griff fester in die Armlehnen des Thrones, um das Zittern meiner Finger zu verbergen.

„Gib mir eine anständige Antwort."

„Sollte das ein Befehl werden?", er lachte leise, „Wenn ja klingt es eher nach Anbetteln."

Einatmen, ausatmen. Panik und Schmerz herunterschlucken. Es dabei belassen. Das war alles, was ich jetzt tun konnte. Allein diese Reaktion reichte aus. Locke hatte recht. Ich hätte es besser wissen müssen, niemals würde er für etwas, das er als spaßig empfand, Reue empfinden. Doch ein letzter Versuch blieb mir noch.

Ich stand auf und ging die marmornen Stufen des Podestes hinunter, bis ich vor ihm stand. Die Wachen um uns herum nahmen augenblicklich eine Haltung ein, in der sie jeden Moment angreifen könnten, um ihn davon abzuhalten, irgendetwas unüberlegtes zu tun. Ich bedeutete ihnen, von uns abzurücken, damit mich niemand hörte, der es nicht sollte. Locke musste den Kopf leicht nach unten neigen, um mir überhaupt ins Gesicht sehen zu können. So war es schon immer gewesen. Ich verengte minimal die Augen und sah ihn bittend an.

„Es war weder Betteln noch Befehlen. Ich bitte dich um etwas. Das ist ein Unterschied. Sag mir, dass es dir leidtut. Locke, ich will kein Urteil über dich fällen müssen, du bist und bleibst mein Bruder. Egal, was du tust, du wirst es immer bleiben, so schmerzhaft es auch werden könnte. Ich will nicht, dass wir beide uns noch weiter auseinanderleben. Sag mir einfach: Es tut mir leid. Mehr nicht."

Lockes Miene war die einer Maske. Gleichgültig, abweisend und kalt wie Gold, unbeweglich wie Eisen. Die Ketten schlugen aneinander, als seine Finger für eine winzige Sekunde, einen Hoffnungsschimmer lang, meine streiften. Dann war da wieder das Lächeln.

„Ich kann nicht."

Der Schimmer erlosch und mit ihm jeder Gedanke daran, dass ich ihn noch irgendwie davonkommen lassen konnte, selbst, wenn ich mich gegen die anderen hätte durchsetzen können. Instinktiv trat ich einen Schritt zurück. In dieser Sekunde brach die Welt in meinem Kopf erneut zusammen.

„Dann kann ich dir auch nicht mehr helfen."

„Ich hatte nie darum gebeten, dass du mir hilfst. Wenn eine von uns beiden Hilfe braucht, dann bist das du, Crystal. Du bist diejenige, die nicht allein mit allem fertig wird. Ich gehe davon aus, dass ich jetzt wieder zurück in dieses alles andere als geschmackvoll eingerichtete Zimmer zurückgebracht werden muss, damit das Gericht sich beraten kann. Liege ich da richtig oder hat sich das auch dank deinem Krönchen geändert?"

„Du liegst richtig." Pandora griff nach meinem Arm und zog mich sacht ein paar Meter nach hinten, zurück zu den anderen. Ihr Blick war kälter als ich ihn je erlebt hatte. „Sobald das Urteil entschieden ist, werden wir dich wieder holen lassen. Alle anderen außer den Gerichtsmitgliedern und dem Lebendigen Rat verlassen den Thronsaal nun bitte auch. Das Gericht muss mit seinen Diskussionen beginnen."

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