Angriff

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Katniss Everdeen wankte durch die Bäume, klammerte sich an ihre Pfeile und Bogen, gegen Baumstämme laufend, die plötzlich aus dem Nichts aufzutauchen schienen, stolperte und fiel, als sie versuchte das Gleichgewicht zu bewahren. Zurück, vorbei an ihrem Teich und in unbekanntes Waldgebiet. Die Welt begann sich auf alarmierende Weise zu verbiegen. Ein Schmetterling blähte sich auf die Größe eines Hauses auf und zersprang in Millionen von Sternen. Bäume verwandelten sich in Blut und klatschten über ihren Stiefeln zusammen. Ameisen begannen aus den Schnitten an ihren Händen zu krabbeln und sie konnte sie nicht abschütteln. Sie kletterten ihre Arme hinauf, ihren Nacken. Jemand schrie, ein langer, hoher Schrei, dem die Luft nie auszugehen schien. Sie hatte das Gefühl, dass sie selbst es war. Sie stolperte und fiel in eine kleine Grube voller oranger Blasen, die summten, wie hunderte Jägerwespennester. Die Knie ans Kinn gezogen, wartete sie auf ihren Tod.

Krank und desorientiert konnte sie nur einen klaren Gedanken fassen. Percy Jackson hatte ihr Leben gerettet. Schon wieder.

Dann bohrten sich die Ameisen in ihre Augen und alles wurde schwarz.

* * *

Sie verfiel in einen Albtraum, aus dem sie immer wieder erwachte, nur um einen noch schlimmeren Terror zu sehen, der sie erwartete. All die Dinge, die sie am meisten fürchtete, so detailliert, dass sie nicht anders konnte, als zu denken, dass sie real waren. Jedes Mal, wenn sie aufwachte, dachte sie, dass es jetzt endlich vorbei war, aber das war es nicht. Es war nur der Beginn eines neuen Kapitels der Folter. Auf wie viele Arten hatte sie Prim schon sterben sehen? Die letzten Momente ihres Vaters durchlebt? Gefühlt, wie ihr eigener Körper auseinandergerissen wurde? Zugeschaut, wie Percy getötet wurde? Warte, was?

Das war die Natur des Jägerwespengiftes, so sorgfältig erschaffen, um den Kern der Angst in deinem Gehirn anzugreifen. Als sie endlich wieder zu Sinnen kam, lag sie still da, wartete darauf, dass der nächste Alptraum begann, noch schlimmer als der vorherige. Schließlich akzeptierte sie, dass das Gift sich endlich einen Weg aus ihrem System herausgearbeitet hatte, und ihren Körper schwach und zerstört zurückgelassen hatte. Sie lag immer noch auf der Seite, zusammengekrümmt wie ein Fötus. Sie hob eine Hand an die Augen, um sie heil vorzufinden, unangetastet von den Ameisen, die nie existiert hatten. Ihre Glieder einfach nur auszustrecken war eine unglaubliche Anstrengung. So viele Teile von ihr taten weh, es schien nicht wirklich lohnend zu sein, sie jetzt zu untersuchen. Sehr, sehr langsam schaffte sie es, sich aufzusetzen. Sie war in einer kleinen Erdgrube, nicht gefüllt mit summenden, orangen Blasen, sondern mit alten, toten Blättern. Ihre Kleidung war feucht, aber sie wusste nicht ob das vom Teichwasser, Tau, Regen oder Schweiß stammte. Für lange Zeit konnte sie nur kleine Schlucke aus ihrer Flasche nehmen und einen Käfer dabei beobachten, wie er die Seite eines Geißblatt-Busches hinaufkrabbelte. Wie lange war sie ohnmächtig gewesen? Es war Morgen gewesen, als sie den Verstand verloren hatte. Jetzt war es Nachtmittag. Aber die Steifheit in ihren Gelenken ließ darauf deuten, dass mehr als ein Tag vergangen war, vielleicht sogar zwei. Wenn das der Fall war, hatte sie keine Möglichkeit um zu wissen, welche der Tribute ihren Jägerwespen-Angriff überlebt hatten. Nicht das Mädchen aus Distrikt 4. Aber da war der Junge aus Distrikt 1, beide Tribute aus Distrikt 2, Glimmer und Percy. Waren sie an den Stichen gestorben? Wenn sie überlebt hatten, waren die letzten Tage für sie garantiert genauso schlimm gewesen, wie für sie. Und was war mit Rue? Sie war so klein, es würde nicht viel Gift brauchen, um sie zu erledigen. Aber dann... die Jägerwespen hätten sie erstmal erwischen müssen, und sie hatte einen guten Start gehabt.

Ein fauler, verrotteter Geschmack erfüllte ihren Mund, und das Wasser half nicht wirklich dagegen. Sie zog sich selbst hinüber zum Geißblatt-Busch und pflückte eine der Blumen. Sanft zog sie das Staublatt durch die Blüte und ließ den Tropfen Nektar auf ihre Zunge fallen. Die Süße verteilte sich in ihrem Mund, floss durch ihre Kehle, wärmte ihre Venen mit Erinnerungen des Sommers, ihres Zuhauses und Gales Anwesenheit an ihrer Seite. Aus irgendeinem Grund kam ihr ihr Gespräch an diesem letzten Morgen wieder in den Sinn.

Der Tribut (Percy Jackson / Tribute von Panem crossover)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt