14 - gekritzelte Ziffern

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"Da bist du ja wieder", begrüßte Emma ihren Enkel und lächelte Randy und mich freundlich an, als sie uns hinter dem Teenager stehen sah. "Habt ihr euch noch unterhalten können?", fragte sie interessiert nach, wir drei nickten zögernd. Titus setzte sich auf die Bettkante seiner Großmutter. "Oh, ich wollte euch noch was fragen!", fiel dem Jungen ein und er guckte uns mit großen Augen an. "Wann habt ihr angefangen zu trainieren und was ist der wichtigste Rat, den ihr jemandem geben würdet, der anfangen möchte, zu wrestlen?" Ich schnaufte laut überlegend und gab die Frage zunächst an Ran weiter. Dieser dachte ebenfalls kurz über seine Antwort nach und erklärte dann: "Mein Paps, mein Onkel und mein Großvater haben alle gewrestlet, ich bin mit Leuten wie Andre The Giant und Hulk Hogan an unserem Esstisch aufgewachsen. Gewrestlet haben wir im Wohnzimmer und im Pool, schon seit ich klein war. Mein Rat wäre, dass du dir genug Zeit nimmst, dich auf alles zu konzentrieren und nichts zu überstürzen." Titus nickte aufmerksam und blickte dann zu mir. Ich steckte meine Hände in meine Jeanstaschen und erzählte meine Geschichte: "Ich bin schon vom Esstisch gesprungen, da konnte ich kaum laufen. Auf dem Spielplatz hab ich die Typen verprügelt, die mich geärgert haben. Das erste Mal stand ich mit 15 im Ring, seitdem kriegt man mich da auch schwer wieder raus", ich lachte leise, "Mir hat es sehr geholfen, mich darauf zu konzentrieren, was ich tun möchte. Ich wusste, dass ich fliegen wollte. Schon immer. Also bin ich eine Highflyerin geworden. Es war von Anfang an glasklar, dass ich niemals so einen Jackhammer, wie Goldberg oder einen Tombstone Piledriver, wie Taker hinbekommen würde, aber das wollte ich auch nie. Ich habe meinen Style früh gefunden und ich denke, je eher du dich auf gewisse Aktionen oder Stile festlegst, desto besser kannst du gewisse Dinge ausbauen." Das Klingeln seines Handys hielt Titus davon ab, auf unsere Ratschläge zu reagieren, jedoch schien er, sich mit unseren Antworten zufrieden zu geben. Verwirrt beäugte seine Großmutter ihren Enkelsohn, der sein Smartphone aus der Hosentasche holte und auf den Bildschirm linste. "Es ist Karen", stellte er bedrückt fest und nahm den Anruf an: "Hallo?" Er war plötzlich so leise und unruhig geworden. "Mhm. Ja... Okay. Ja, mache ich." Dann schwieg er für einige Zeit und guckte auf den Boden. "Ja, kann ich. Okay, mache ich. Tschüss." Er legte auf und seufzte leise auf. Dann sah er seine Oma entschuldigend an und schilderte die Lage: "Karen möchte, dass ich nachhause komme und einkaufen gehe." Titus stand auf und beugte sich zu Emma herunter, um sie fest zu umarmen. "Sie schickt dich schon wieder einkaufen?" Er nickte und winkte ab: "Ja, es ist nicht so wild", und machte eine wegwerfende Handbewegung. Dann setzte er ein aufmunterndes Lächeln auf und versprach: "Ich rufe heute Abend an und morgen komme ich wieder, okay Granny?" Seine Augen zeigten, dass das Schmunzeln alles andere als echt war. Der Anblick versetzte mir einen Stich in den Magen und ich wendete den Blick kurz aus dem Fenster, wodurch ich Randy's Aufmerksamkeit auf mich zog. Dieser legte die Stirn in Falten, doch ich ging nicht darauf ein und schüttelte nur abwinkend den Kopf. "Ist schon gut, mein Kleiner. Wir hören uns dann heute Abend. Ich hab dich lieb, Titus." Als er sie nochmals in seine Arme schloss und seiner Großmutter: "Ich hab dich auch lieb, Granny", versicherte, schob Randy seine Hände in die Hosentaschen und blickte zu Boden. "Entschuldigen Sie, Emma", wendete ich mich an die ältere Dame, "darf ich mir kurz Ihren Kugelschreiber ausleihen und mir ein Blatt Papier nehmen?", bat ich und deutete auf den Notizblock, der auf dem Beistelltisch neben ihrem Bett lag. Sie nickte nur und ich ging die wenigen Schritte herüber zu dem Tisch, riss mir einen Zettel ab und kritzelte schnell und krakelig etwas darauf. Danach steckte ich das Stück Papier weg und verabschiedete mich von Titus's Großmutter. Randy schüttelte ihr die Hand und schaute dem Jungen hinterher, der mit gesenktem Kopf zur Tür lief. Ich folgte ihm sofort und drehte mich kurz nach Randy um, der nun auch kommen wollte. Als wir aus dem Krankenzimmer getreten waren und mitten auf dem Flur der Station standen, rief ich ihm nach: "Hey, Titus! Warte!", und ging auf ihn zu. "Oh, ich- tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich sein, ehrlich." Er sah zu mir und hinauf zu Ran, doch wir beide schmunzelten nur beruhigend. Ich bedeutete den beiden, mir zum Aufzug zu folgen, denn ich hatte das Gefühl, dass er Karen's Bitten, wer auch immer sie war, so schnell wie möglich nachkommen wollte. Vielleicht die Nachbarin. Als die Türen hinter Orton zuglitten, betrachtete ich den brünetten Jungen unauffällig durch den Spiegel. Er hatte die Hände in die Kängurutasche seines Hoodies gesteckt und starrte stumm auf den Boden. Mein Blick wich zu Randy und ich nickte leicht in Richtung des Teenagers. Er verstand nicht, was ich von ihm wollte. Wer konnte es ihm verdenken? Vermutlich hätte ich an seiner Stelle auch keine Ahnung gehabt. "Soll ich mit dir einkaufen gehen?", fragte ich Titus, der erst dachte, ich würde mit Ran sprechen, mich dann aber verwirrt anschaute. "Ich könnte dir helfen. Wenn wir zu zweit oder zu dritt gehen, bist du schneller fertig", schlug ich vor und lächelte locker. Die Türen öffneten sich wieder und wir stiegen aus dem Lift. Titus nickte langsam und begann dann ebenfalls, leicht zu schmunzeln: "Ja, das können wir machen. Geht das für euch?" Wir liefen geradewegs auf den Ausgang zu. Amüsiert sah ich zu Randy und entgegnete: "Du kannst ja im Auto warten, Viper." Dann zog ich mir meinen schwarzen Beanie vom Kopf und klemmte ihn mir unter den Arm, um mir einen Zopf zu binden, den ich dann so unter der Mütze versteckte, dass kein bisschen Blau mehr hervorguckte. "So sollte es gehen", merkte ich an, "die meisten erkennen mich, glaub ich, an den Haaren." "Sind auch ziemlich auffällig", stimmte die Schlange neben mir zu.

"Wartet mal 'ne Sekunde", hielt Titus uns auf, als er und ich vor dem nächsten Supermarkt standen, "Ich muss erst nachhause, ich hab nicht genug Geld dabei." Er zückte sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche seiner Bluejeans und sah hinein. "Zehn Dollar", schüttelte er den Kopf, "das reicht nicht, ich muss-" "Schon okay, der Rest geht auf mich", verkündete ich. Titus schenkte mir einen erstaunten Blick. "Ganz ruhig, ich bezahl' dir nur deinen Einkauf. Du siehst aus, als hättest du gerade einen Geist gesehen." Nachdem er sich wieder gefangen hatte, gingen wir beide in den Laden und Orton wartete draußen im Auto auf uns. Titus zeigte mir die Einkaufsliste, die Karen ihm in einer WhatsApp-Nachricht geschickt hatte. "Karen ist deine Nachbarin, huh?" Er nickte nur. "Musst du öfters für sie einkaufen gehen?" "So ungefähr zwei Mal die Woche." "Wie alt ist Karen?" "Ich weiß nicht... vielleicht gegen Ende 20 oder Anfang 30." Ich runzelte die Stirn. Sie könnte doch auch selbst einkaufen gehen. Wir arbeiteten die Liste recht schnell ab, jeder merkte sich immer zwei Dinge auf der Liste, ging diese holen und suchte dann den anderen auf. Wir lagerten die Ware vorübergehend in meinem kleinen Rucksack, bis ich dann eine Tragetasche an der Kasse entdeckte und sie auf das Kassenband legte. Titus hatte wieder vor, seinen Geldbeutel herauszuholen, doch ich erwiderte: "Lass stecken, Kleiner. Ich mach das schon." "Aber-" "Kein aber." Wir räumten den Einkauf in Teamarbeit in die Tüte ein und trafen draußen auf Randy, der den Kofferraum öffnete. Der Teenager war verwirrt. "Ist es okay, wenn wir dich nachhause fahren?" "Ran, haben dir deine Eltern nie beigebracht, nicht in fremde Autos zu steigen?", lachte ich belustigt. "Oh, na klar", lachte Titus dann und nahm erneut auf dem Beifahrersitz Platz. Die Fahrt über lief nur ruhige Musik im Radio, keiner von uns redete, seit der Junge seine Adresse in das Navigationssystem eingegeben hatte. Es war stinklangweilig und aufregend zugleich, da mich meine Gedanken beschäftigten. Titus tat mir wirklich leid. Ich hatte meine Großmutter auch verloren, als ich ungefähr in seinem Alter war. Sie war wie ein zweiter Elternteil für mich gewesen, da ich meinen Vater nie kennengelernt hatte. Sie hatte meiner Mom dabei geholfen, eine so verrückte Rebellin großzuziehen. Und Titus ging es ähnlich, nur dass noch hinzu kam, dass sein einziges Familienmitglied nicht mehr für ihn sorgen konnte und er bei einer seltsamen Nachbarin unterkommen musste. "Ist es das Haus hier?", erkundigte sich Orton und deutete geradeaus auf einen grauen Häuserblock, der wenig einladend und eher abschreckend aussah. Titus nickte und schnallte sich ab, was ich ihm gleich tat. Ich half ihm, die Tasche mit dem Einkauf aus dem Kofferraum zu holen und drückte sie ihm in die Hände, dann drückte ich ihn. Mir fiel plötzlich auf, dass er ganz leicht nach Zigarettenrauch roch. Ich löste mich von ihm und begutachtete ihn vorsichtig. "Sag mal, Titus", begann ich leise, "Rauchst du schon?" Er schüttelte den Kopf und erklärte, dass seine Nachbarin rauche und seine Klamotten den Geruch deshalb annahmen, wenn er bei ihr war. Verstehend nickte ich und schloss ihn wieder fest in meine Arme. "Danke, Bonny. Danke für das Einkaufen und das Heimfahren und die Selfies und das Autogramm." Ich grinste: "Es war sehr schön, dich kennenzulernen, Titus." Ich nahm den Schmierzettel, den ich im Krankenhaus geschrieben hatte, aus meiner Hosentasche und drückte ihn Titus mit entschlossener Miene in die Hand. "Hör mir gut zu", begann ich ernst und sah zu, wie er das Papier auffaltete. Er legte die Stirn in Falten. "Ich kann mir vorstellen, dass das alles wirklich hart für dich sein muss. Ich bin für die nächsten drei bis vier Wochen krankgeschrieben. Wenn du irgendwas brauchst, sei es eine helfende Hand beim Einkaufen oder ein offenes Ohr für dich, dann ruf mich an", ich deutete auf das Zettelchen mit meiner Telefonnummer. Völlig entgeistert glotzte er den Zettel an. "Bitte, tu mir nur zwei Gefallen. Gib nicht mit meiner Nummer bei deinen Freunden an und veröffentliche sie nicht im Internet." "O-okay...", erwiderte er zögernd und ich gab ihm ein Highfive. "Du musst da nicht alleine durch, Kleiner. Du packst das. Und wenn du irgendwas brauchst, lass es mich sofort wissen." Ich nahm ihn ein letztes Mal in den Arm und behielt ihn im Auge. Während ich zurück in Randy's Mustang stieg, bog Titus in einen Hausgang ein und kramte in seiner Hosentasche nach seinem Schlüssel. Randy drehte den Zündschlüssel, doch ich legte meine Hand auf seine, um ihn zu stoppen, meine Augen immer noch direkt auf Titus gerichtet. "Was ist?" Die Tür des Hauseingangs fiel laut in's Schloss und ich zog meine Hand wieder zurück. Die Viper wiederholte sich: "Was ist denn?" Die Schultern zuckend antwortete ich: "Ich weiß nicht, ich hab in dieser Gegend ein unwohles Gefühl. Ich wollte nur sicher gehen, dass er auch wirklich zuhause ankommt." Ran schüttelte breit grinsend den Kopf: "Du bist echt zu fürsorglich", und fuhr rückwärts zurück auf die Straße. "Hast du ihm wirklich deine Telefonnummer gegeben?", hakte er dann interessiert nach, was ich mit einem Nicken bestätigte. "Der Kleine braucht Hilfe. So kann das nicht weitergehen. Ich meine... er hat sein Leben besser unter Kontrolle als ich, verdammt!" "Kaum zu glauben, dass er deine Nummer früher bekommen hat, als ich..."

Bonny I - Championships und Liebe [Remastered WWE FanFiction]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt