Bruchstückhaft erinnerte ich mich daran, wie ich Lian das Ortungsgerät zurückgegeben hatte, körperlich unversehrt und unerkannt wie ein ferngesteuerter Roboter in meinen Kerker zurückgekehrt war und schließlich bis zum allmorgendlichen Klopfen an der Metalltür hoch zur Decke gestarrt hatte. In dieser gesamten Zeit hatten alle meine Gedanken aus ausschließlich einem Satz bestanden.
Ich soll Michail töten.
Alles, was ich an diesem Abend von Lian in Erfahrung gebracht hatte, war es Wert gewesen, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Angefangen bei der unfassbaren Geschichte zwischen Michail und Gabe bis hin zu der Rolle Gabes in diesem grotesken Schauspiel, in dem ich seit Wochen gefangen war. Doch der letzte Satz, der Lians Lippen vor dem Kamin verlassen hatte, übertraf einfach alles zuvor Gehörte.
Natürlich hatte ich bereits oftmals in meinem Leben die Worte, dass ich jemanden umbringen würde, gedacht und auch laut ausgesprochen. Ich konnte gar nicht mehr abzählen, wie oft ich genau diese Worte in einem Gedanken verinnerlicht hatte, als ich an Michails oder Karinas Visage gedacht hatte. Doch noch nie in meinem Lebe hatte ich darüber nachgedacht, es tatsächlich in die Tat umzusetzen. Schließlich war es eine Sache, nur darüber nachzudenken, wie langsam meine Finger Michails dürre Kehle umschlossen, um schlussendlich fest zuzudrücken, was nur eines der Szenarios beschrieb, wie ich mir genüsslich den Tod Michails vorstellte. Doch es war etwas gänzlich Anderes, einem Menschen, selbst wenn dieser ein absolutes Monster war, das Leben zu nehmen. Zu hören, wie der letzte Atemzug die Lippen verließ. Zu wissen, dass man selbst verantwortlich dafür war, dass das Geschöpf unter einem nicht mehr lebte. Es war nicht Genugtuung, die meinen Körper bei diesen Gedanken flutete. Es war blanke Panik. Letzten Endes gehörte es einfach nicht zu meinem Repertoire, irgendwelche Menschen umzubringen.
Ilvy hatte die gesamte Zeit über fest geschlafen, worüber ich zum Einen erleichtert, zum Anderen aber auch enttäuscht gewesen war. Minütlich hatte ich das Bedürfnis verspürt, sie zu wecken und in meine Misere einzuweihen. Doch in den Momenten, in denen ich kurz davor gewesen war, hatte ich zurückgeschreckt. Ich hatte einfach gewusst, dass ich nicht dazu in der Lage sein würde, die passenden Worte zu finden. Wie sollte dies auch möglich sein? Es war mir noch nicht einmal gegönnt, einen klaren Gedanken zu fassen, wenn ich an irgendetwas Anderes aus der Unterredung mit Lian dachte. Immerzu begann sich alles um mich herum zu drehen, was mir wiederum nur Schwindel und Atemnot einbrachte.
Somit war es auch nicht verwunderlich gewesen, dass mein Herz in die Hose gerutscht war, als das Hämmern an der Tür ertönt war. Nachdem Ilvy durch den lauten Klang des Metalls wach geworden war und mich freudig seufzend in ihre Arme geschlossen hatte, hatte sie mir die alles entscheidende Frage gestellt: "Was ist passiert?"
Ich hatte ihr nicht ins Gesicht sehen können, als ich antwortete: "Ich... möchte gerade nicht darüber reden."
Auch ohne in Ilvys Gesicht lesen zu können, konnte ich die Neugier und die Enttäuschung erahnen, die an ihr nagte. Ihre Hände hatten daraufhin fest meine Schultern umschlossen, um mich dazu zu bewegen, zu ihr aufzusehen.
Ich hatte ihr den Gefallen getan, was sie schließlich dazu brachte, zu flüstern: "Sag mir wenigstens, ob es etwas Gutes ist."
Das Glänzen in ihren Augen hatte ich nicht länger ertragen können und weggesehen. Obwohl ich ihr ohne schlechtes Gewissen hätte sagen können, dass ich eigentlich ziemlich gute Neuigkeiten für uns alle hatte, konnte ich das nicht. Denn ich war mir nicht so sicher, ob es tatsächlich so gut war, einen Menschen zu töten. Auch wenn es mir Leid tat, hatte ich Ilvy gegenüber ehrlich bleiben wollen.
"Das weiß ich leider noch nicht."
Ihre Hände hatten von mir abgelassen. Ohne etwas Weiteres zu sagen, war sie im Bad verschwunden. Obwohl ich Ilvy die gesamte Zeit über hatte ansehen können, dass sie vor Neugier fast platzte, ließ sie die Sache tatsächlich auf sich beruhen, was ich ihr zugute halten musste. Somit hatte ich mehr Zeit, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
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Phönixchroniken - Entflammen ✔️
ParanormalAbgeschlossen --- Band 2 der Phönixchroniken --- Nach einer nervenaufreibenden Sizilienreise hat Cassie nur einen sehnlichen Wunsch: Die Rückkehr in ein normales Leben. Dass dies jedoch nach alldem, was vorgefallen ist, nicht so einfach ist, wird ih...