Kapitel 20

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Es war bereits der dritte Tanz, bei dem ich gemeinsam mit Dimitri über das Parkett schwebte, als hätten wir nie in unserem Leben etwas anderes getan. Unsere Körper harmonierten zusammen, stimmten sich mit jeder Wendung aufeinander ab und kein einziges Mal landete der Fuß des einen auf dem Fuß des anderen. Niemals hätte ich gedacht, das einige Tage intensivstes Tanztraining etwas bringen würden, doch nicht nur einmal bemerkte ich die sehnsüchtigen Blick aus der Menge, die uns streiften, während wir eine Pirouette nach der anderen über das Parkett drehten. Für die Außenwelt wirkte die Symbiose zwischen unseren Körpern perfekt. Doch nur die wenigsten wussten, dass hier ganz und gar nichts perfekt war.

Obwohl es mir bisher gut gelungen war, Giulia aus dem Weg zu gehen und somit eine gelogene Unterhaltung zu umgehen, so war mir dies nicht so gut bei Anna und Miguel gelungen. Unendlich schwer war es mir gefallen, ein Lächeln auf meine Lippen zu setzen und immer wieder zu betonen, wie glücklich ich, insbesondere mit Dimitri, war. Ohne Karinas stetige Anweisungen wäre ich vermutlich einfach auf dem Boden zusammengebrochen. Doch das Bild von dem Video, auf dem meine Großeltern die Protagonisten darstellten, war ein stetiger Motivator, der mich dazu zwang, dieses Schauspiel aufrechtzuerhalten, auch wenn ich immer wieder daran dachte, laut nach Hilfe zu schreien.

Ich merkte, wie meine Augen immer wieder die Menschenmengen nach einem ganz bestimmten Paar grüner Augen absuchten, nur um jedes Mal aufs Neue enttäuscht zu werden. Eigentlich hätte ich erleichtert sein sollen. Schließlich wollte und konnte ich nicht mit ansehen, wie der sanfte Blick von Gabe von etwas Bösem getrübt wurde, wenn er mich mit Dimitri erblickte. Doch der hoffnungsvolle Teil meiner Selbst hatte immer noch nicht aufgegeben, in diesem absurden Schauspiel eine Chance auf Freiheit zu sehen.

Erst jetzt, während ich mich voll und ganz Dimitris Führung hingab, konnte ich endlich wieder etwas durchatmen. Noch mehr künstliches Lächeln und Nachdenken hätte ich einfach nicht zustande gebracht. Dimitri und ich hatten bisher noch kein einziges Wort miteinander gewechselt, was mir nur zugute kam. Einzig und alleine die Blicke, die wir uns während des vorherigen, von Karina und Michail gewünschten Tangos zugeworfen hatten, waren Kommunikationsmittel genug gewesen.

Jetzt, wo ein langsames Lied gespielt wurde, hatte ich meine Hände um Dimitris Nacken gelegt, während seine Hände bestimmt meine Hüften umschlangen. Trotz des fortgeschrittenen Abends war die Außentemperatur immer noch angenehm warm, doch die Gänsehaut, die sich in den wenigen Sekunden, in denen Dimitri jemanden hinter mir erblickte, über meine gesamte Haut ausbreitete, konnte nichts Gutes bedeuten.

"Mein Sohn, dürfte ich mir kurz diese reizende Dame für ein Tänzchen ausborgen?"

Meine Hände verkrampften sich an Dimitris Nacken. Am liebsten hätte ich niemals losgelassen. Auch wenn ich mit so gut wie jeder Person lieber auf der Hochzeit von Giulia und Akos gewesen wäre als mit Dimitri, so zählte sein Vater doch zu den Menschen, die ich noch weniger ausstehen konnte. Und das musste wirklich etwas heißen. Dimitris Blick ruhte nur kurz auf mir, bevor er seine Hände von meinen Hüften löste und einige Schritte nach hinten trat, um seinem Vater Platz zu machen. Wie eine seelenlose Puppe ließ ich mich in seine Arme ziehen. Ein Fuß folgte vollkommen automatisiert dem anderen, während wir uns im Dreivierteltakt des anfangenden Walzers bewegten, als wäre es das Normalste auf dieser Welt. Alles um mich herum verblasste, während meine Augen in das grinsende, bleiche Gesicht von Michail blickten, und ich wusste, dass die Stille zwischen uns nicht lange anhalten würde. Wenn es etwas gab, das ich über Michail gelernt hatte, dann war es, dass er ohne große Reden zu schwingen nicht lange überleben konnte.

"Bald habe ich dich soweit, Täubchen. Bald wirst du mir gehorchen, ohne auch nur etwas zu hinterfragen."

Seine Arme zogen mich noch enger an seinen Körper, was mir ein geschocktes Stöhnen entlockte. In meinem Ohr ertönte ein kurzes Knurren, das ich gekonnt ignorierte. Schließlich sah ich es nicht als mein Problem an, dass Karina ihren Missmut nicht kontrollieren konnte. Außerdem war ich zu sehr damit beschäftigt, meine Wut im Zaum zu halten, die jede einzelne Sekunde an meinen Nervenbahnen zerrte. Wie immer schien Michail nichts von der Außenwelt außer sich selbst zu registrieren und palaverte weiter: "Und endlich wird es mir gehören. Nach all den unerträglich langen Jahren."

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