Kapitel 27

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Das Einzige, was ich vor mir sah, als ich von den Kolossen durch die Flure geführt wurde, war tiefstes Schwarz. Das Geräusch, das meine Stiefel auf dem Boden hinterließen, hatte sich, nachdem ich aus einem Aufzug geführt worden war, verändert. Es hörte sich an, als würde ich auf altem, knarrenden Parkett entlang laufen. Unter dem Stoffsack, den ich inzwischen mehr als nur gut genug kannte, war die Luft stickig und ich spürte, wie mir der Sauerstoffmangel das Denken erschwerte. Trotz der Situation, die auf mich zukommen würde, verspürte ich innere Ruhe.

Wahrscheinlich hatten die zig Neuigkeiten in den letzten Stunden meine Nerven derartig gereizt, dass sie nunmehr desensibilisiert worden waren. Vielleicht aber trug auch die lähmende Müdigkeit dazu bei, dass ich keinen einzigen Gedanken fassen konnte, was, wohl bemerkt, die schlechteste Voraussetzung war, um mit Michail ein gescheites Gespräch führen zu können.

Wenigstens war Michail selbst ein Meister darin, einen Monolog als Gespräch zu verkaufen, weshalb ich vermutlich nicht einmal viel beitragen musste.

Mit dem Arm von einem der Kolosse wurde ich dazu gezwungen, inne zu halten. Eine quietschende Holztür hörte ich als Nächstes. Erst als ich meine Destination betrat, wurde der schwarze Leinensack von meinem Kopf gezogen und die Tür wieder hinter mir verschlossen.

Dieses Mal war ich tatsächlich nicht überrascht, als ich meine Augen sofort zusammenkneifen musste. Die Sonne, die durch die enormen Fenster im Landhausstil schien, blendete meine gereizten Augen, die Tageslicht nicht mehr gewohnt waren. Ich musste erst einige Male blinzeln, um wieder etwas erkennen zu können. 

Der Boden war aus hochwertigem, alten Holz gearbeitet worden. Die Wände hatten eine Höhe von über drei Metern und waren in einem zarten Gelbton gestrichen worden. Stuck an der Decke schenkte dem Raum, der ausschließlich aus hohen Bücherregalen, einem Schreibtisch und Stühlen bestand, einen altmodischen Hauch. Ausnahmslos alle Möbel in dem Raum waren aus hochwertigem Ebenholz gearbeitet worden, was dem Raum eine gewisse, drückende Kälte spendete. Lange verweilten meine Augen jedoch nicht auf dem Mobiliar. Ein Blick aus dem bodenlangen Fenster, das mir am nächsten war, ließ meinen Atem stocken.

Die Gartenanlage, die sich außerhalb des Hauses erstreckte, war von solcher Pracht und derartigen Farben geprägt, wie man es nur selten von restaurierten Schlössern kannte. Pflanzen jeglicher Art und Gattung waren millimetergenau gestutzt worden und machten jeden Teil des Gartens zu einem besonderen Plätzchen. In grün gehüllte Gestalten flitzten wie emsige Bienen umher und gossen die Blumen, beschnitten die Zweige und pinselten die weißen Sitzbänke mit einem freundlicheren Gelbton ein.

Sie bereiten sich sicherlich auf die Ankunft der Gäste vor, die bald für die Jahreszeremonie eintreffen werden.

Von den wenigen Nebeninformationen, die mir Lian vor meinem Abschied aus seiner Kammer gegeben hatte, wusste ich, dass die Jahreszeremonie in eben diesem Gebäude stattfinden würde. Bei der Größe des Anwesens, die ich nur durch meine spärlichen Besuche in den oberen Etagen abschätzen konnte, wunderte mich dies keineswegs. Soweit meine Informationen richtig waren, würde die Zeremonie selbst sogar im großen Saal stattfinden, in dem Dimitri und ich Tanzunterricht erhalten hatten. Die Freude darüber, diesen Raum wieder betreten zu müssen, hielt sich bei mir in Grenzen.

"Gefällt dir dieser Anblick, mein Täubchen?"

Bei dem Laut dieser Stimme zuckte ich kurz zusammen. Michail, den ich zuvor nicht bemerkt hatte, hatte sich, leise wie eine Katze, von hinten an mich herangeschlichen. Wenn ich die Luft anhielt, konnte ich sogar seinen Atem hören. Ich hasste meinen Körper dafür, dass er dermaßen auf ihn reagierte. Deshalb fiel es mir umso schwerer, mich von dem Fenster vor mir abzuwenden und geradewegs in seine eisblauen Iriden zu sehen.

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