Kapitel 30

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Grelles Licht traf ungehindert auf meine Iriden und ließ mich meine Augen zusammenkneifen. Im gesamten Raum war es still geworden, was mich jede Sekunde nervöser werden ließ. Ich spürte sämtliche Blicke auf mir ruhen, als ich meine Augenlider dazu zwang, sich zu öffnen. Ich musste einige Male gegen das Licht blinzeln, um wieder etwas erkennen zu können. So viele verschiedene Gesichter musterten meine Erscheinung. Keiner wagte es auch nur, einen Mucks von sich zu geben.

Die weißen Haare in der vordersten Reihe erregten als Erstes meine Aufmerksamkeit. Es war Ilvy, die mich gezwungen anlächelte und mir zunickte. Neben ihr saß Dorian, der ganz und gar nicht zufrieden aussah. Die Wut stand ihm offen ins Gesicht geschrieben. Als ich mein Augenmerk auf Dimitri legte, schien mich sein Blick zu durchdringen. Jegliche Emotionen seinerseits blieben mir verborgen. Ich hatte damit gerechnet, dass ein dreckiges Grinsen oder gar Eifersucht sein Gesicht verzerren würde, doch dieses Mal überraschte er mich. Samantha und Logan konnten im Gegensatz dazu nicht aufhören, wie Honigpferde vor sich hin zu grinsen und genossen das Schauspiel vor ihnen sichtlich. Der kleine Kamal blickte ausschließlich zu Boden, was sofort mein Herz zusammenziehen ließ.

Ebenfalls ganz vorne mit dabei war Lian, der mir, kaum merklich, aufmunternd zunickte. Auch Akuma betrachtete meine Erscheinung eindringlich, ließ sich jedoch nichts anmerken. Ich schluckte, als mir der Ernst der Situation langsam klar wurde.

Ein Schluchzen aus dem Publikum ließ mich zu meiner Linken blicken. Es brauchte nicht lange, um zu der Quelle dieser starken Emotion zu finden. Bei dem Anblick vor mir erstarrte ich. Ebenfalls in der vordersten Reihe saßen meine liebsten fünf Menschen, die ganz und gar nicht in diesen Kontext passten. Meine Augen weiteten sich, als ich meine Oma dabei beobachtete, wie sie sich das Weinen verkniff. Mein Magen rebellierte, als ich die Tränen von meinem Opa sah, die ihm stumm über die Wangen liefen. Suz hatte ihre Hände schützend vor das Gesicht gelegt, während Max ihr beruhigend über den Rücken fuhr. Stefan schien der Einzige in der Runde zu sein, der kurz davor war, wütend aufzuspringen und jemanden zu erdolchen.

Mit voller Wucht drehte ich meinen Kopf in Michails Richtung und warf ihm einen Blick zu, der ihn sofort hätte töten sollen. Doch zu meinem Leid wurde das Grinsen auf seinem bleichen Gesicht bei meinem Anblick nur noch dreckiger.

In keinem einzigen Szenario, das ich mir vorgestellt hatte, waren meine Großeltern oder meine besten Freunde vorgekommen. Niemals hatte ich es für möglich gehalten, dass Michail solche Geschütze auffahren würde, nur um mich noch mehr zu quälen. Innerlich lachte ich über diesen Umstand, da ich mittlerweile hätte wissen müssen, dass Michail vor Nichts und Niemandem Halt machte. Wie hatte ich da nicht vorher drauf kommen können?

Keinem von den hier Anwesenden konnte ich länger in die Augen sehen. Es war eine Sache, Michail zu töten, wenn fast ausschließlich mir Fremde im Publikum saßen. Doch es war eine gänzlich andere Sache, wenn meine Großeltern, die mich mit gewissen Werten aufgezogen hatten, dabei zusehen sollten, wie ich Michail ein Ende bereitete. Mit Feuer, das aus meinen eigenen Händen kam.

Eines wurde mir mit voller Wucht klar. Ich hatte das Spiel bereits verloren, noch bevor ich die Bühne betreten hatte. Entschuldigend blickte ich zu Lian herauf, nur um meinen Kopf wieder vollends sinken zu lassen. Froh darüber, dass die geglätteten Haare einen undurchdringbaren Vorhang zwischen mir und dem Publikum schafften, atmete ich einige Male tief durch, was sich in dem engen Einteiler und mit angeketteten Extremitäten als sehr schwerfällig herausstellte.

"Das hier, meine werten Mitglieder, ist unsere liebe Cassandra", hörte ich Michail palavern, was ich versuchte, so gut wie mir möglich war, zu ignorieren. Mein Herz pumpte weiterhin fleißig und schnell das Blut durch meinen Körper und ließ mich nicht zur Ruhe kommen.

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