Kapitel 16

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"Wie bitte?"

Ilvys Augen waren bis aufs Äußerste geweitet. Ihr Mund stand offen, während sie mich immer noch fassungslos ansah. Ich selbst fühlte mich in diesem Moment nicht sonderlich besser. 

Immer noch spürte ich Dimitris Körper fest an meinen gepresst, woraufhin Gänsehaut sofort meinen Körper überzog. Meine Füße schmerzten höllisch von den ganzen Tritten, die Dimitri ihnen verpasst hatte, wenn Señora Liberta gerade mal nicht hingesehen hatte. Generell war er kein sonderlich guter Tänzer. Zwar lag mein letzter Tanzkurs auch schon Jahre zurück, doch einen guten Tänzer von einem Trampel konnte ich immer noch unterscheiden. Vielmehr bekam das Sprichwort Wie ein Elefant im Porzellanladen endlich ein Gesicht.

Wenn ich so darüber nachdachte, konnte ich sogar froh sein, dass mir nicht die Freude zuteil geworden war, mit dem mehr als nur unhygienischen Logan tanzen zu müssen. Ich brauchte nur an diesen süßlichen Schweißgeruch zu denken, schon wurde mir speiübel. Wenigstens in dieser Hinsicht war mir Dimitri lieber. Aber auch nur in dieser.

"Habe ich dich gerade richtig verstanden?"

Ilvys Frage erreichte mich gefühlt aus weiter Ferne, während ich mich voll und ganz meinen Gedanken hingab. Sie selbst war mittlerweile damit beschäftigt, im Raum auf und ab zu laufen, während sie sich die Haare raufte. Wie in Trance nickte ich und murmelte: "Ich fürchte, ja!"

"Das heißt im Klartext: Michail hat dich und Dimitri zu sich bestellt, damit ihr gemeinsam Tango tanzen lernt?"

Wieder nickte ich und murmelte: "So sieht es aus."

"Was, in Gottes Namen, hat er bloß mit euch vor?"

Auch wenn die Situation, wie so oft in letzter Zeit, in keinster Weise lustig war, schmunzelte ich ob Ilvys reger Aufruhr. Mein Herz machte einen Hüpfer vor Freude, da sie sich mir zuliebe derartig in diese Sache hereinsteigerte. Schließlich konnte es ihr auch schlicht und einfach egal sein, was sie mit mir vor hatten.

"Wenn ich das wüsste, müsstest du hier nicht mehr wie verrückt geworden im Kreis herum laufen."

Ilvy war stehen geblieben. Ihre Wangen färbten sich rot. Ich konnte nicht umhin zu bemerken, wie gut ihr etwas Farbe im blassen Gesicht schmeichelte. Als sie die nächste Frage stellte, blickten ihre blauen Augen direkt in meine.

"Das heißt, die nächsten Tage wirst du mit Dimitri ein eigenes Training bekommen?"

Ich nickte und beobachtete Ilvy dabei, wie sie zu ihrem eigenen Bett ging und sich darauf setzte. Sie spiegelte meine Haltung, indem sie die Hände auf der Bettkante abstützte und den Kopf resigniert hängen ließ. Die Fassungslosigkeit in ihren Augen war immer noch nicht verschwunden.

"Also eines muss ich ja sagen, Cassie. Seitdem du hier bist, wird dieser Albtraum immer kurioser. Nur kann ich mich nicht genau entscheiden, ob diese Veränderungen gut oder schlecht sein sollen."

Ich murmelte zustimmende Worte, während mein Kopf vom ganzen Nachdenken bereits schmerzte. Für mich war die Unterhaltung offiziell beendet. Langsam legte ich mich ins Bett, breitete die dünne Decke über mir aus und rollte mich zu einer Kugel zusammen. Das Einzige, was ich noch wollte, war wieder ins Schlummerland abzudriften und hoffentlich zu Gabe zu finden. Bei dem Gedanken an ihn spürte ich, wie sich mein Magen schmerzhaft zusammenzog. Wenn ich darüber nachdachte, wieso ich mich die gesamte Zeit dagegen gesträubt hatte, mich bei ihm zu melden, würde ich mir am liebsten selbst eine verpassen. Vielleicht hätte Gabe mich vor diesem Albtraum bewahren können. Doch dank meiner Sturheit würde er nie ein Lebenszeichen von mir erhalten und es wahrscheinlich auch nicht hinterfragen. Schließlich wollte er mir Freiraum geben und die Möglichkeit, ein Leben ohne ihn und die Welt, in der er lebte, zu führen. Nur leider hatten wir in diesem Moment beide nicht gewusst, dass wir in dieser Hinsicht schon lange keine Entscheidungsgewalt gehabt hatten. Nicht nur Gabe hatte ich, wie ich jetzt wusste, unfreiwillig zurücklassen müssen, sondern mein gesamtes, altes Leben. Meine Großeltern und meine Freunde mussten vor Sorge halb durchdrehen. Ich spürte, wie sich eine Träne aus meinem Augenwinkel löste und den Kissenbezug befeuchtete und ich wusste, dass es diese Nacht nicht die einzige Träne bleiben würde.

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