Mit jedem Fausthieb, den ich auf den roten Lederboxsack losließ, fühlte ich, wie meine Muskeln protestierten und nach Sauerstoff ächzten. Schon lange war mein gesamter Körper mit Schweiß benetzt und schenkte etwas Abkühlung in dem viel zu überhitzten Trainingsraum. Trotz der Warnzeichen meines Körpers legte ich keine Pause ein, machte weiter und weiter. Die gesamte Zeit stellte ich mir vor, dass dieser Boxsack alles verkörperte, was ich aus tiefstem Inneren verabscheute. Neben allem, was diese Irrenanstalt verkörperte, reihten sich auf der Spitze der Pyramide auch meine unerfüllten Hoffnungen ein, endlich aus diesem Albtraum befreit zu werden.
Seit dem einen Abend, an dem ich Ilvy von Gabe erzählt hatte, versuchte ich jede Nacht aufs Neue, erneut in diese Traumwelt vorzudringen, in der ich die Muschel von Gabe erhalten hatte und die jetzt sicher verstaut in der Sockenschublade im Schrank lag. Jeden Morgen fragte mich Ilvy, ob ich es geschafft hatte. Und mit jedem Tag wurde das Nein, das sie als Antwort erhielt, immer bitterer und wütender.
Auch wenn Ilvy ihr Bestes gab, nicht zu enttäuscht bei meiner ernüchternden Antwort auszusehen, gelang es ihr mit jedem Tag immer weniger. Das Lächeln, das in den letzten Tagen ihr Gesicht geziert hatte, war mittlerweile wieder dem traurigen, hoffnungslosen Blick gewichen, mit dem ich sie kennengelernt hatte. Der Schmerz, den dieser Blick bei mir auslöste, war gleichzusetzen mit den Schmerzen, die ich in den ersten Tagen hatte durchmachen müssen.
Wenn es etwas gab, was ich in den letzten zwei Wochen in dieser Irrenanstalt gelernt hatte, dann war es, dass keiner Gnade walten ließ. Und das Selbe ließ ich auch für mich und meinen inneren Schweinehund gelten, weshalb ich immer weiter gegen den Boxsack schlug.
"Mit roher Gewalt kommst du nicht voran."
Akuma hatte sich neben mich gestellt und betrachtete meine vergeblichen Versuche, den Boxsack auf den Boden zu befördern. Ich ignorierte ihn, prügelte immer weiter auf den gut gefüllten Sack ein.
"Die Kraft hast du, doch dir fehlt die Technik."
Sanft, jedoch bestimmend, legte er eine Hand auf meine Schulter, die im Gegensatz zu seiner Hand heiß war. Mein Körper jubelte, als ich meine Arme auf den Knien abstützte und wie wild nach Luft rang. Genauso wie in den letzten Tagen hatte ich mich vollständig verausgabt.
Ich bemerkte, wie ein Handtuch in mein Blickfeld geführt wurde, und nahm es ruppig entgegen. Nur weil ich hier eine Gefangene war, hieß das noch lange nicht, dass ich mich auch wie eine Untertänige benehmen würde. Als ich in das Gesicht von Akuma blickte, hätte ich schwören können, dass in den ersten Bruchteilen einer Sekunde ein Lächeln sein sonst so ernstes Gesicht geschmückt hatte. Doch bei meinem körperlichen Zustand wäre es nicht verwunderlich, wenn ich bereits begonnen hatte zu halluzinieren.
Das Blut, das meine Knöchel bedeckte und langsam auf das weiße Handtuch tropfte, war jedenfalls real. Fasziniert schaute ich dabei zu, wie ein Tropfen Blut langsam von meinem Knöchel rutschte und auf das Handtuch traf, das sich darunter sofort rot färbte.
"Du solltest mit Dorian üben."
Akuma riss mich aus meinen Gedanken und ich blickte überall hin, nur nicht zu meinen Händen. Gerade als ich mir das Handtuch um den Hals gelegt hatte, vernahm ich klackernde Schuhe auf Betonboden, die den Raum betreten hatten. Ich war nicht die Einzige, die sofort in der Bewegung innehielt. Ausnahmslos alle, die sich in dem Raum befanden, sahen zu der Person, die, wie ich nur zu gut wusste, selbst mit einem kleinen, silbernen Stöckchen einem das Leben zur Hölle machen konnte.
Auch wenn ich sie seit der Unterredung zu zweit nicht mehr gesehen hatte, wollte ich dieser Frau nie wieder freiwillig zu Nahe kommen. Ihre Schritte kamen näher. Zwei Kolosse waren direkt hinter ihr platziert und ich wusste, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Karina mischte sich immer nur aus einem guten Grund unter das Gesindel. Und dieser Grund hatte oftmals etwas mit Folter oder Schmerz zu tun.
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Phönixchroniken - Entflammen ✔️
ParanormalAbgeschlossen --- Band 2 der Phönixchroniken --- Nach einer nervenaufreibenden Sizilienreise hat Cassie nur einen sehnlichen Wunsch: Die Rückkehr in ein normales Leben. Dass dies jedoch nach alldem, was vorgefallen ist, nicht so einfach ist, wird ih...