Kapitel 6

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Das Hoch der Gefühle, das meinen gesamten Körper durchströmte, ließ tatsächlich ein Lächeln auf meinen Lippen entstehen. Die Last, die auf meinen Schultern gelegen hatte, war für diesen einen, kleinen Moment wie weggeweht. Suz wusste von meinem Geheimnis und nichts und niemand konnte mich jetzt noch aufhalten.

Ich war gerade dabei, die letzten Kerzen in dem Rucksack zu verstauen, als ich hinter mir eine mir bekannte Stimme vernahm.

"Ich wusste, dass du etwas ganz Besonderes bist, mein Täubchen!"

Die Gänsehaut, die sich daraufhin auf meiner Haut ausbreitete, passte zu dem Schock, der meinen Körper erstarren ließ. Die Kerzen, die ich noch vor einigen Sekunden in den Händen gehalten hatte, fielen mit einem stumpfen Laut auf den Boden. Auch wenn alles in meinem Körper danach schrie, meinem Instinkt, mich umzudrehen, keine Folge zu leisten, konnte ich die Neugier nicht daran hindern.

Weiße Haare umrahmten ein bleiches Gesicht. Das Lächeln war immer noch genauso aufgesetzt wie bei unserem Kennenlernen während der Vernissage. Der schwarze Mantel in der Kombination mit dem Mondlicht ließ ihn surreal erscheinen. Ich war mir fast schon sicher, dass ich träumte.

Das kann einfach nicht war sein. 

Das Glänzen in Graf Draculas Augen jedoch ließ mich das Schlimmste vermuten. Mit einem Mal begriff ich die Reichweite seiner Worte. Bilder von Flammen tauchten vor meinem inneren Auge auf. Suz und ich auf der Lichtung, auf der ich immer noch stand, und wie wir über jedes einzelne Detail meines verkorksten, mysteriösen Teil des Leben gesprochen hatten.

Er hat es alles mitbekommen.

Das Schlucken fiel mir schwer, als ich weitere, in Schwarz gekleidete Gestalten hinter ihm erkannte, die durch die Schatten der Bäume nur spärlich vom Mondlicht beleuchtet wurden.

"Wie ich sehe hast du mein Geschenk erhalten."

Mit einer bleichen, knochigen Hand deutete Graf Dracula auf das Buch, das immer noch vor meinen Füßen lag. Kälte durchfuhr meinen gesamten Körper bei der Bedeutung, die seine Worte innehatten. Die gesamte Zeit hatte ich gehofft, dass es einer von meinen sizilianischen Nachbarn gewesen war, der mir dieses Buch hinterlassen hatte. Für wahrscheinlicher hätte ich es sogar gehalten, wäre dieses Paket ein verspätetes Geburtstagsgeschenk meiner Eltern gewesen. Jetzt jedoch wurde ich eines Besseren belehrt.

Mein Puls wurde schneller, das Atmen und das Fokussieren fiel mir immer schwerer. Ich spürte in jeder einzelnen Faser meines Körpers, dass das Feuer in mir die Überhand gewinnen wollte. Ich ließ die Nägel schmerzhaft in meine Handflächen fahren, nur um die Kontrolle zu behalten. Obwohl ich mir sicher war, dass es nichts mehr vor ihm zu verbergen gab, wollte ich ihm diesen Gefallen in Form eines Gefühlsausbruchs nicht gönnen. Die Neugier, die seine eisblauen Augen vernebelte, wollte ich in keinem Fall stillen.

"Der Doktor hat wirklich nicht übertrieben, als er von dir erzählt hat."

Der Doktor?

Stirnrunzelnd betrachtete ich ihn und versuchte, einen Sinn aus seinen Worten zu ziehen. Von welchem Doktor sprach er nur? Ich sah innerlich förmlich den Vorhang fallen, als ich von einem auf den anderen Moment wusste, was er meinte.

Er spricht von dem Fieber. Und diesem Doktor Weiland, der mich behandelt hat. Steckt er etwa auch dahinter? Für wen hält sich dieser Graf Dracula eigentlich?

Das immer breiter werdende Grinsen, das mich mit jeder verstreichenden Sekunde mehr verspottete, ließ mich wissen, dass er die Fragen, die in meinem Kopf umherspukten, auch ohne Worte verstanden hatte. Wut stieg in mir auf, was meine Nägel noch mehr in meine Handflächen trieb. Es war sinnlos, irgendwelche Fragen zu stellen, auf die ich vermutlich sowieso keine Antwort erhalten würde. Es gab nur eine Sache, die wirklich zählte.

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