Den gesamten Sonntag habe ich in meinem Zimmer verbracht und habe erst etwas gegessen und geduscht, wenn die Anderen weg waren. Ich bin verwirrt, überfordert mit der Situation und irgendwie auch verletzt. Seufzend streiche ich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Heute ist Montag und Montag bedeutet Schule. Was für ein Scheiß.
Unmotiviert stehe ich auf und greife mir wahllos was aus meinem Schrank. Im Badezimmer vollziehe ich halb schlafend eine Katzenwäsche und ziehe mich an. Meine silbergrünen Augen blicken mir matt von der spiegelnden Oberfläche entgegen und genervt verziehe ich eine Grimasse. Ich habe keine Lust mehr, irgendetwas zu tun. Ich will doch einfach nur nach Hause und dort mein Leben der letzten drei Jahre leben. Ich will keinen Mate haben, mich nicht mit meinen Freunden streiten und die ganzen Erinnerungen ertragen müssen. Ich will doch einfach nur in Ruhe leben, ist das denn zu viel verlangt?
Erschöpft verlasse ich das Bad und steige die Treppe herunter. In der Küche sitzen bereits Sybilla und Jake. Die beiden unterhalten sich leise und verstummen, als ich eintrete. Ich nehme mir einen Tee und setzte mich zu ihnen. ich habe Kopfschmerzen und langsam schlürfe ich etwas von meinem Tee, wobei ich mir die Zunge verbrenne. Eine Hand legt sich auf meinen Arm und ich blicke in Sybillas grünen Augen. „Willst du reden?" Fragt sie überraschend sanft und erschöpft schüttle ich den Kopf. „Nein. Ich will dieses eine Jahr überstehen und dann einfach nach Hause." Sage ich kraftlos und in ihren Augen blitzt etwas auf, was ich nicht zu deuten vermag. Ich schiebe meinen Tee von mir und stehe auf.
Langsam schlinge ich mir meinen Regenmantel um die Schultern und ergreife meinen Rucksack. Die Haustür fällt hinter mir zu und ich stehe alleine im Regen. Kurz schließe ich die Augen und sammle meine Kräfte, ehe ich wieder in die graue Welt blicke. Ich sehe Ames Wagen vor dem Tor, kann mich jedoch nicht dazu bringen, zu ihm zu gehen. Ich will nicht schon wieder minutenlang mit ihm in einem Auto eingesperrt sein. Sein Geruch und seine Anwesenheit machen es mir unmöglich, ihm böse zu sein. Aber das will ich doch, oder nicht? Ich will ihm doch nicht verzeihen, nicht wahr?
Erneut seufzte ich, ehe ich in die Garage gehe und mein Motorrad hervorhole. Ohne meinem Mate oder seinem Auto noch einen weiteren Blick zu würdigen, fahre ich auf die Straße. Der Regen klatscht gegen das Visier meines Helmes und durch den dichten, grauen Schleier hindurch erblicke ich meine Schule. Ich stelle meine Maschine an der Seite ab und verstaue meinen Helm im Sitz. Der Schulhof ist leer. Kein einziger Schüler ist zusehen, was bei diesem Wetter auch kein Wunder ist. Langsam mache ich mich auf den Weg zu dem Gebäude.
In mir drin ist eine kalte Leere. Ich bin mir nicht sicher, wie ich mich fühle. Irgendwie einfach kraftlos und ausgesaugt. Mein Kopf ist wie leergefegt. Ich höre, wie eine Autotür zugeschlagen wird. „Alecta." Ruft jemand, doch ich drehe mich nicht um. Warum ist das Leben so gemein zu mir? Warum muss ausgerechnet ich von meinem Mate abgelehnt werden? Was habe ich denn verbrochen, um sowas zu verdienen. Früher habe ich gedacht, ich wäre schwach. Ich habe gedacht, dass ich zu nichts in der Lage wäre. Dann kam ich zu den Thompsons und sie gaben mir das Gefühl stark zu sein. Doch ich bin nicht stark. Ich bin nicht besonders. Ich bin einfach nur Alecta. Irgendeine junge Werwölfin, welche versucht ihren Platz zu finden.
Ein unkontrolliertes Zittern bringt meinen Körper zum Beben und schluchzend halte ich mir eine Hand vor den Mund. Die Leere, welche ich zuvor verspürt habe, ist plötzlich gefüllt mit Emotionen. Angst, Wut, Trauer. Und plötzlich ist er da. Ich spüre, wie die Kälte des Regens von mir weicht, als sich warme Arme um mich schließen. Eine große Hand streicht über meinen Kopf und drückt mich enger an eine warme Brust. „Ist okay. Ich bin da." Haucht eine raue Stimme. Ich erkenne Ames und will ihn von mir stoßen, doch ich habe keine Kraft mehr. Vielleicht sollte ich ihn auch nicht von mir stoßen. Er ist immerhin mein Mate und Mates verzeihen einander.
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Karma kommt
WerewolfAls die junge Werwölfin und beliebtes Mobbingopfer Alecta von ihrem Mate abgelehnt wird, verschwindet sie aus dem Rudel. Einige Zeit irrt sie alleine durch die Gegend, ehe sie auf ein neues Rudel trifft, in welchem sie aufgenommen und ausgebildet wi...