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Gedankenverloren saß ich auf einem Stuhl in Julies Küche, während sie von den Rettungskräften in den Krankenwagen gebracht wurde, zu sich gekommen war sie immer noch nicht. Eine Polizistin saß vor mir und schaute mir tragischerweise dabei zu, wie ich mir alle zehn Sekunden die neuen Tränen aus dem Gesicht wisch und fragte mich nun zum dritten Mal, was heute Abend passiert war. Ich seufzte und meine Stimme zitterte, als ich sprach, "Ich weiß, sie müssen das alles fragen, aber ich habe keine Kraft mehr."

Sie legte ihre Hand auf meine Schulter und atmete aus, "Tut mir leid süße, es ist bestimmt schrecklich seine Freundin so vorzufinden. Kennst du jemanden, den wir anrufen können für sie?" Ich schüttelte den Kopf, "Sie hat keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern. Sie hat niemanden."

"Könntest du mir trotzdem ihre Namen geben, damit man versuchen kann sie zu erreichen?" fragte die Polizistin, ich nickte und sagte ihr alles, was ich über Julies Eltern wusste, als von hinten einer der Rettungssanitäter hereinkam, "Sie kann Glück haben, dass du sie gefunden hast. Nur zehn Minuten später und es hätte zu spät sein können. Es war gut, dass du deinem Instinkt gefolgt bist."

Der Gedanke, Julies Leben gerettet zu haben füllte mich keinesfalls mit Freude oder so, denn sie hatte schließlich selbst versucht sich umzubringen. Was wenn sie mich hasste, wenn sie wach wird und man ihr erzählte, dass ich sie gefunden hatte?

Das dieser Tag so ablaufen würde, damit hatte ich absolut gar nicht gerechnet. Die Polizisten räusperte sich, "Sollen wir dich irgendwo hinbringen? Ich glaube nicht, dass es besonders schlau ist, dich jetzt in dieser Verfassung Autofahren zu lassen."

Ich dachte nach, denn eigentlich wollte ich jetzt nicht nach Hause zu meinen Eltern und den Zwillingen, das wäre mir zu bunt, zu viel auf einmal, als wäre es das nicht jetzt schon. Aber alleine sein wollte ich auch nicht, meine Gedanken würden mich dort nur umbringen. Ich nickte leicht und nannte der Polizistin eine Adresse. Sie runzelte die Stirn, "Noah Kingsley?"

Auch wenn es mich verwirrte, dass sie ihn kannte nickte ich nur, "Woher kennen sie ihn?"

"Ich hatte einen Fall, der mit seiner Familie zu tun hatte, aber mehr darf ich dir nicht sagen. Aber komm, ich bringe dich zu ihm."

Mir war selbst nicht wirklich bewusst, warum ich ausgerechnet Noah's Adresse genannt hatte, schließlich hätte ich auch zu Lou, Isla oder Esther gehen können, aber irgendwas in meinem Kopf schrie nach Noah, denn ich hatte das Gefühl er würde mich am besten verstehen. Da Esther Julie selbst kannte, könnte sie mich nicht trösten, denn sie wäre selbst todunglücklich und ich würde ihr erst morgen bescheid geben können, was los war. Verdammt, ich musste doch selbst erst einmal auf die Situation klarkommen.

Die Fahrt zu Noah bekam ich eigentlich kaum mit, genauso wenig wie das Gespräch der beiden  Polizisten. Ich war wirklich dankbar darüber, dass sie mich zu Noah fuhren, denn wenn ich selbst nun im Auto am Steuer säße, würde ich wahrscheinlich noch wild umherrollen und mehrere Unfälle verursachen. Immer wieder liefen vereinzelte Tränen über meine Wangen, als würde mein Körper langsam auf alles klarkommen, doch richtig losheulen konnte ich nicht, irgendetwas blockierte es, auch wenn ich es so sehr rauslassen wollte.

Durch die Wanderung meiner Gedanken durch meinen Kopf waren wir sehr viel schneller bei Noah als ich erwartet hatte und während mich die Polizistin begleitete, während wir die Stockwerke hinauffuhren, machte ich mich klein, krümmte mich zusammen und starrte einfach nur auf den Boden, ich wollte nicht wissen, wie ich aussah. Meine Haare hingen in meinem Gesicht und meine Augen waren verheult, doch das war gerade das unwichtigste. Julie war glücklicherweise stabil, meinte der Rettungssanitäter zumindest, weshalb meine Gedanken nicht komplett bei ihr lagen. Ich hoffte gerade einfach nur, dass Noah mich nicht wegschickte, wir hatten schließlich mehrere Tage nicht miteinander geredet, aber mein Körper sagte mir, dass ich ihn gerade brauchte. Er war die einzige Person, bei der ich gerade sein wollte.

Die Polizistin klopfte an Noahs Apartmenttür und man hörte das klappern eines Gürtels in der Wohnung, bevor ein halb nackter Noah die Tür öffnete. Als wäre der Zeitpunkt nicht sowieso schon unpassend genug, hatte er also auch noch ganz bestimmten Besuch. Ich atmete einmal tief durch und drehte mich zu der Polizistin, "Dankeschön." Ich ging ohne etwas zu Noah zu sagen in die Wohnung, beachtete den weiblichen Besuch nicht, auch wenn dieser mich empört fragte, wer ich sei und was ich hier wolle und setzte mich an den Küchentisch, während die Polizistin Noah anscheinend erklärte was vorgefallen war. Nun wo ich hier war entschied sich mein Körper dazu nochmal alles was passiert war durchzuleben, so lange bis jede Faser es offiziell verstanden hatte. Tränen schossen aus meinen Augen und mein ganzer Körper zitterte, während ich laut und hektisch ein und ausatmete und anfing alles aus mir herauszulassen. Ich schrie und heulte, schlug mit meiner Hand auf den Tisch und säße ich nicht, wäre ich garantiert zusammengebrochen.

CeliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt