Kapitel 27 (Betty's Sicht)

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Ich trommele ungeduldig mit meinen Fingern auf der Tischplatte herum.
War ja klar, dass ich meine Entscheidung jetzt wieder bereuen werde.
Momentan ist einfach alles zu viel. Ich weiß nicht, wie ich damit klar kommen soll. Ich habe meine Mom seit Tagen nicht gesehen, Jug's Vater sitzt im Gefängnis, meine Collegebewerbungen, die mich schon seit Wochen verrückt machen und jetzt auch noch die ganze Geschichte mit Archie!
Es ist einfach der komplette Wahnsinn. Ich habe das Gefühl, dass ich total durchdrehe.
Wieder spüre ich den stechenden Schmerz, den meine Fingernägel hinterlassen. Ich habe gar nicht gemerkt, wie sich meine Hände zu Fäusten geballt haben. Erschrocken lasse ich locker und schaue betroffen auf meine Hände. Jeweils vier halbmondförmige, blutige Wunden zeigen sich auf meiner Handfläche.
Seufzend greife ich nach einer Papierserviette, die neben der Speisekarte auf dem Tisch im Pop's steht.
„Was ist bloß los mit dir, Betty?", murmele ich mir selbst gedankenverloren zu, während ich das Blut von meinen Händen wische. Genau in dem Moment bimmelt die kleine Glocke über der Eingangstür des Diners.
Ich brauche mich nicht umzusehen, ich weiß, wer es ist.
„Hi, Pop. French Fries, bitte."
Ich stopfe die blutige Serviette schnell in meine Jackentasche und drehe mich nun doch um. Archie steht an der Theke und sieht ebenfalls zu mir, als ich mich umdrehe. Er wendet den Blick schnell ab und ich kann sein, wie seinen Wangen leicht erröten.
Archie wartet mich kurz auf seine Bestellung, legt Pop Trinkgeld hin und kommt dann auf mich zu geschlendert. Er stellt den Teller mit den French Fries hin und lächelt flüchtig.
„Hi."
Gott, ist es komisch hier mit Archie alleine zu sitzen. Ich weiß nicht, ob ich mich jemals wieder daran gewöhnen werde.
„Äh, die French Fries gehen auf mich. Bedien dich bitte."
Aber ich habe keinen Hunger. Jug und ich haben zu Hause schon Sandwiches gegessen. Er ist früh schlafen gegangen, weil ihn seine kleine Shoppingtour heute ziemlich müde gemacht hat. Außerdem kommen morgen seine Mutter Gladys und Jellybean, seine Schwester, für ein paar Tage zum Besuch.
Trotzdem greife ich nach einer Pommes und kaue nachdenklich drauf rum.
„Also", beginnt Archie, nachdem es eine Weile still am Tisch war. Er räuspert sich verlegen. „Ich habe das von Jug's Dad gehört. Muss ziemlich blöd für ihn sein, was?"
Ich nicke. „Ja, er ist ziemlich neben der Spur", antworte ich. Auch wenn Jughead es im Moment noch nicht zugeben will, weiß ich, was er fühlt.
„Wie lange wird er sitzen müssen?"
„Keine Ahnung, die Verhandlung ist erst am Dienstag. Wenn wir Glück haben, werden es nur ein paar Jahre sein. Zwei, oder so."
Archie nickt und greift nach einer Handvoll Pommes. Es legt sich wieder eine dicke Wolke des Schweigens über den Tisch hinter der Nische, an dem wir sitzen. Ich spüre wieder den Zwang, mir meine Fingernägel in die Handflächen zu rammen. Es kribbelt mir in den Fingerspitzen, als hätte ich gerade eine tolle Idee entworfen. Ich trommele nun lautlos auf meiner Jeans unter dem Tisch herum, um das Kribbeln zu übertreffen.
„Tut mir leid, Arch. Also, das mit dem Schlag heute. Ich hätte dich nicht schlagen sollen, das war dumm vor mir. Ich weiß auch nicht, ich bin momentan irgendwie nicht ich selbst."
Archie schluckt schwer, während er mir zuhört. Seinen braunen Augen mustern mich besorgt. Als ich fertig bin, seufzt er leise.
„Es ist okay, Betty. Wirklich. Du musst dich nicht entschuldigen."
Ich muss wieder an seine Worte denken, die Archie mir heute morgen hinter gerufen hat.
Weil du mir wichtig bist.
„Du bist mir auch wichtig", sage ich schnell, ohne meine Worte vorher bedacht zu haben. Archie's Augenbrauen fahren überrascht in die Höhe.
„Also, äh, weil ... du das heute morgen gesagt hast? Weißt du noch? Ach, keine Ahnung ... war vermutlich nur so daher gesagt. Ist ja auch egal, oder?"
Meine Güte, ist das peinlich! Doch Archie lacht bloß und fährt sich dabei durch die kurzen roten Haare.
„Es war nicht nur daher gesagt, Betty. Komm schon, du solltest mich besser kennen", sagt Archie lachend.
Aber ich kenne ihn doch kaum, oder?
Archie's Lachen verstummt schnell, als er in mein ernstes Gesicht sieht. Er streckt seine Hand über dem Tisch aus und schüttelt mich leicht an der Schulter. „Ist alle okay?"
Nein, es war nichts okay. Es war wirklich nichts okay. Rein gar nichts. Aber jetzt, wo ich hier mit Archie saß, im Pop's, hinter der Nische, da fühlte ich mich ruhig. Ich fühlte mich wie die kleine Betty, aus der 10. Klasse, die hier mit ihrem besten Freund Archie Milkshakes trank und Hausaufgaben machte. Es fühlte sich wie früher an, als Archie noch Archie war, und ich noch ich.
„Betty, vielleicht solltest du mal zu einem Arzt gehen."
Die Blase, in der ich bis gerade lebte, zerplatzt. „Was?", frage ich verwirrt und zucke zusammen, sofort nimmt Archie die Hand von meiner Schulter.
„Na ja, ich dachte nur ... ein Arzt, mit dem du über das Ding mit deinen Fingernägeln reden kannst. Das ist ja nicht normal."
In meinen Ohren rauscht das Blut. Heiße Tränen brennen in meinen Augen. Auf einmal sehe ich nur noch ein verzerrtes Bild.
„Betty, ich will dir doch nur helfen. Wie ich schon sagte, du bist mir wichtig. Ein Arzt könnte dir helfen und dir vielleicht eine Diagnose geben."
Archie's Stimme dringt zu mir durch wie ein wages Rauschen, das ich kaum wahrnehme.
„Betty? Betty, ist alles okay?"
Seine Worte klingen besorgt, doch es hört sich so an, als wären sie kilometerweit entfernt.
Ich muss hier weg.
Ich muss weg!
Ich schaffe es nicht einmal mich zu verabschieden, ich stürme einfach aus dem Pop's heraus und laufe so weit wie meine Beine mich tragen können.
Was nicht sehr weit ist, denn gleich auf dem Parkplatz sacke ich zusammen und übergebe mich im Gebüsch. Archie fällt neben mir auf die Knie und legt mir eine kalte Hand auf den Rücken.
„Es ist okay", höre ich ihn sagen. Immer wieder wiederholt er diese drei Worte, wie ein Mantra, und ich kotze weiter.
„Es ist okay."

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