Kapitel 36 (Betty's Sicht)

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Mrs. Jones lässt sich erschöpft aufs Sofa fallen und streift ihre hohen braunen Lederstiefel von den Füßen.
Jellybean tut es ihr gleich und greift direkt nach der Fernbedienung.
„Was für eine Pizza wollt ihr haben?", fragt Jughead, der bereits schon das Handy in der Hand hat, um den Lieferservice anzurufen.
Mrs. Jones und Jellybean geben ihre Bestellung an. „Für mich bitte nichts", sage ich schnell, als Jug sich an mich wendet.
Seit Wochen ernähren wir uns gefühlt nur noch von Tiefkühlessen und dem örtlichen Lieferservice, bei dem wir bestimmt schon Stammkunden sind.
Jug nickt und drückt mir einen Kuss auf die Wange, bevor er die Nummer wählt.
Ich stelle meine Tasche ab und setze mich an den unaufgeräumten Küchentisch. Leere Pizzakartons, Speisekarten, Rechnungen und Fernsehzeitschriften tummeln sich auf dem kleinen, morschen Holztisch.
Ich seufze und schaue lieber lustlos auf den Fernseher, wo gerade Rick and Morty läuft, anscheinend Jellybean's Lieblingsserie.
„Komm mit", flüstert Jughead mir auf einmal zu, als Jellybean lachend auf den Fernseher zeigt.
Jug nimmt mich bei der Hand und führt mich zu dem kleinen, quadratischen Schlafzimmer ganz hinten im Trailer.
In seiner Hand hält er einen Brief.
Den Brief.
Bevor er die Tür abschließt, vergewissert er sich, dass Jellybean und Gladys beschäftigt sind. Dann dreht er sich um und lächelt mich an.
„Stille", sagt Jughead und lehnt sich erleichtert gegen die Tür. Für ihn muss es ziemlich anstrengend sein, auf einmal mit seiner Mom und seiner kleinen Schwester auf ein paar Quadratmetern zu wohnen.
Ich lasse mich auf das nicht gemachte Bett fallen und sehe zum Fenster heraus, das auf das Sunnyside-Trailerpark-Schild zeigt.
„Betty? Sollen wir ihn jetzt aufmachen?"
Ich drehe mich zu ihm und sehe in Jug's blassgrüne Augen, die vor Aufregung funkeln. Er scheint überzeugt zu sein, euphorisch.
Ich setze mich wieder auf und öffne meine Haare, dann lasse ich meinen Nacken ein paar mal kreisen.
„Okay", sage ich und hole tief Luft. „Wir machen ihn jetzt auf."
Jughead lächelt breit und händigt mir den Brief aus, dann setzt er sich neben mich. „Mann, bin ich gespannt!", sagt er und ballt seine Hände zu Fäusten, um die Daumen drücken zu können.
Es ist ein komisches Gefühl.
Zu wissen, dass auf diesem Stück Papier die nächsten fünf, vielleicht zehn Jahre meines Lebens bestimmt sind.
Es ist das große Alles oder Nichts.
Verlieren oder Gewinnen.
Es ist das, auf das ich seit Jahren hingearbeitet habe. Das, auf das ich mich vorbereitet habe.
Es ist die Zukunft.
Meine Zukunft.
Ich mag keine Ungewissheit. Ich brauche klare Antworten. Ich brauche die Kontrolle.
Nie habe ich mir etwas mehr gewünscht, als nach Yale zu kommen. Meine Mutter hatte dort studiert, also würde ich das gleiche tun.
Aber auf einmal, in diesem Moment, da erschien es mir so wenig. Würden mich diese wenigen Worte, die auf mich warteten, wirklich so beeinflussen?
Es gab zwei Möglichkeiten.
Ja und Nein.
Auch auf die Warteliste gesetzt zu werden war ein Nein, so wurde ich erzogen.
Dieses Stück Papier könnte mir Tore öffnen oder einen dicken, fetten Riegel vor jedes schieben.
Die Stunde der Wahrheit hatte geschlagen.
Ich suche mir eine Ecke an dem Brief, die ich einreiße. Dann schleicht sich mein Finger unter den Briefumschlag und entfernt den Kleber, mit dem er verschlossen war. Langsam bannt sich mein Zeigefinger einen Weg voran, es ist das einzige Geräusch, das ich momentan wahrnehme.
Bis auf mein Herzklopfen, das Jughead vermutlich auch hören kann.
Ich bin so konzentriert, dass ich mich nicht traue zu blinzeln. Mein Name, der in schwarzer Tinte vorne auf dem Umschlag steht, verschwimmt schon vor meinen Augen.
Ich klappe den Umschlag um und kann das gefaltete Papier erkennen. Erst jetzt merke ich, wie sehr meine Hände zittern. Ich bin nur noch wenige Sekunden von meiner Zukunft entfernt.
Ich greife nach dem cremeweißen Papier und entnehme es dem Umschlag.
Jughead legt mir beruhigend die Hand auf die Oberschenkel, als er meine zitternden Finger bemerkt, während ich den Brief auseinander falte.
Ich kann die erste Zeile lesen:

Sehr verehrte Elizabeth Cooper.

Ich öffne den Brief weiter.

Es ist uns eine Freude, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Sie auf der diesjährigen Warteliste der Yale University, New Haven (Connecticut), stehen.
Sie werden spätestens bis Mitte Juni von Uns hören. Wir werden uns bei Ihnen per E-Mail melden.
Wir bedanken uns für Ihre ausführliche Bewerbung und wünschen Ihnen ein schönes letztes Schuljahr.

Ich öffne den Brief weiter, zerreiße ihn fast.
Aber da steht nichts mehr.
Bis auf eine Unterschrift und das Datum war es das.
„Und? Was steht da?", fragt Jughead, doch an seiner Stimme kann ich hören, dass er es schon weiß.
Es ist ein Nein.
Ein Nein für mich, ein Nein für die Zukunft.
Wieder verschwimmen die einzelnen Buchstaben vor mir, und ich kann spüren, wie sich meine Augen mit Tränen füllen.
„Hey, Betty", sagt Jughead leise und streichelt mir dabei über den Rücken. „Es ist doch bloß die Warteliste, es steht ja noch gar nichts fest."
Richtig, es steht nichts fest.
Meine Tränen laufen mir nur stumm die Wange hinunter und tropfen dann von meinem Kinn auf das dicke Briefpapier. Ohne mich zu regen schaue ich dabei zu, wie die schwarze Tinte langsam verläuft.
Irgendwie nehme ich mich war, dass Jughead ganz leise auf mich einredet, mich küsst, meine Hand hält und mich an sich drückt.
Ich kann seine Stimme hören, aber die Worte dringen nicht zu mir durch.
Ich weiß nicht, wo ich jetzt bin.
Riverdale ist es auf jeden Fall nicht. Ich fühle mich weit weg, abgekapselt von allen anderen.
Es ist, als würde ich mir zusehen. Mich angucken, wie ich hier sitze und in die Leere starre.
Irgendwie fühle ich mich auch so. Leer. Müde. Ausgelaugt, erschöpft.
„Betty? Betty, bitte weine nicht. Es ist okay, ja? Es ist okay."
Jughead's Stimme wird etwas lauter, etwas hysterischer.
Es bedrängt mich. Das Gefühl der Leere bedrängt mich.
„Jughead?"
Meine eigene Stimme klingt mir fremd.
„Ja? Ja, was ist es? Ist alles in Ordnung?"
Ich hole tief Luft und atme zitternd wieder aus. „Könntest du mich vielleicht kurz alleine lassen?"
Ich kann spüren, wie die Muskeln in seinen Armen zucken. Er ist eine Zurückweisung dieser Art nicht gewohnt.
„Betty, bist du–"
„–Ja, ich bin mir sicher, ich brauche nur ein paar Minuten. Für mich. Geh zurück zu deiner Familie, bitte."
Meine Stimme ist ein heiseres Krächzen, das in meinem Hals stecken bleibt.
Jughead steht langsam auf und schaut zu mir herab. „Ich liebe dich, okay? Und daran kann keiner was ändern, ja? Nicht Yale, nicht du, niemand. Du bist der stärkste Menschen, den ich kenne, Betty. Und das sage ich nicht nur so. Ich meine es. Ich liebe dich über alles. Versprochen, ja?"
Dann schleicht er leise Richtung Tür und schließt sie genauso leise hinter sich.

I'm still in Love with You Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt