Kapitel 48

260 11 5
                                    

Der heiße Tee brennt auf meiner Haut wie Feuer. Schnell stelle ich die Tasse ab und wische mir die Hände an meinem Oberteil ab.
„Warte, ich hole dir ein Handtuch!", ruft meine Mutter, aber ich winke ab.
„Nein, danke. Es geht schon", sage ich und beiße mir auf die Zunge, um nicht vor Schmerz zu weinen.
„Elizabeth, du verbrühst dich ja!" Die Stimme meiner Mom ist panisch.
Zum Glück lässt der Schmerz langsam nach. „Alles ist gut, Mom, wirklich."
Sie scheint erleichtert, als sie sich zurück in die Kissen auf dem Sofa fallen lässt.
„Und ... ihm geht's gut, Jughead. Ihm geht es gut."
Mehr kriege ich nicht heraus. Alleine sein Name ist eine momentan eine Hürde für mich.
„Und was ist mit deinem Vater? Er ist ja immer noch im Gefängnis. Wie geht er damit um? Und ist seine Mutter noch hier? Gladys?"
Verwirrt sehe ich meine Mom an. „Wieso stellst du so viele Fragen? Sag bloß, du nutzt die Gelegenheit für einen Artikel im Register aus."
Ich spüre, wie mir die Wut hochkommt. Doch meine Mutter schüttelt schlagartig den Kopf.
„Um Himmels Willen, nein, Betty. Ich schreibe nicht mehr über die Southside. Ich habe doch bloß in deinem Interesse gefragt, schließlich spielt dieser Junge eine große Rolle in deinem Leben."
Und ich hoffe, er würde sie lebenslang spielen.
„Nun gut, dann habe ich jetzt genug geredet. Worüber wollest du reden, Sweetheart?"
Oh Gott. Das hatte ich schon fast vergessen. Jetzt kommen die wirklich schlechten Neuigkeiten.
Auf einmal ist mein Hals ganz trocken und ich muss mich räuspern. Mein Herz klopft laut und schnell vor Aufregung. Erst als ich spüre, wie meine Fingernägel sich in meine Haut bohren, senkt sich mein Herzschlag wieder.
Also gut, here we go.
Ich wollte über das College reden, über Yale."
Meine Stimme ist mir selbst ganz fremd.
Sofort sehe ich, wie die Haltung meiner Mutter sich verändert. Sie wird steifer, angespannter. Sie setzt wieder ihr Pokerface auf, gehobene Augenbrauen und die Lippen zu einem schmalen Strich gezogen.
„Ich ... habe den Brief geöffnet, ein paar Tage, nachdem du ihn mir geben hast", erzähle ich und schlucke.
„Was stand drin?"
Anhand ihrer Stimme erkenne ich, wie aufgeregt Mom ist.
„Ich ... also, es ist so ... äh, es ist ... die Warteliste."
Zum Ende hin werde ich immer leiser, bis ich irgendwann nur noch ein heiseres Flüstern rausbekomme.
Meine Mutter weitet vor Schreck die Augen und versucht, ihren neutralen Gesichtsausdruck zu bewahren.
Einige Sekunden lang liegt Stille zwischen uns.
Dann öffnet sie den Mund und spricht: „Ich bin stolz auf dich, Elizabeth."
Ihre Worte brauchen lange, bis sie mich erreichen, bis ich sie verarbeite.
„Du bist ... was?", frage ich verblüfft und spüre, wie mir die Tränen kommen.
„Ich bin stolz auf dich", wiederholt sie. Ihre Lippen verziehen sich zu einem dünnen Lächeln. „Du hast dein Bestes gegeben, mein Mädchen. Yale verpasst etwas, wenn sie dich nicht noch aufnehmen."
Ich muss lächeln, während in meinen Augen die salzigen Tränen brennen.
„Du hast nicht verloren, Betty. Yale hat verloren."
Ihre Worte sind stark und mächtig, bauen mich auf. Vielleicht ist es traurig, aber meine Mutter hat mir zuvor noch nie gesagt, dass sie in irgendeiner Weise stolz auf mich ist. Irgendwann gewöhnt mich doch daran. Ich weiß, dass meine Mom mich liebt, auch wenn sie es mir nicht direkt sagt. Ich weiß, dass meine Mom stolz auf mich ist, auch wenn sie es mir normalerweise nicht sagt.
Ich weiß nicht viel über meine Mutter. Dass sie in Riverdale geboren ist, zur Riverdale High gegangen ist, klar, aber wirklich mehr weiß ich nicht.
Ich kenne ja nicht einmal meinen Vater, das ist ein Geheimnis, welches sie immer hüten wird.
Aber ich kenne meine Mom als Mensch, wer sie ist, was sie will. Sie ist eben nicht emotional und braucht nicht viele Menschen um sich herum.
Ich habe sie noch nie so verletzlich gesehen wie an dem heutigen Tag.
„Weißt du, Betty", sagt sie und trinkt einen Schluck Tee, „ich habe auch lange gebraucht, bis ich an einer Uni angenommen wurde. Meine Eltern sind schon fast ganz verrückt geworden, als erst zu Beginn des Sommers meine Briefe ankamen."
Meine Großeltern kenne ich auch nicht, sie sind schon lange tot, hat Mom mir erzählt. Genau genommen kenne ich niemanden aus meiner Familie, ich weiß bloß, dass ich ein paar Großtanten und Großonkels an der Grenze habe.
„Aber ich weiß noch ganz genau", fährt Mom fort, „wie sehr ich mich gefreut habe, aus Riverdale rauszukommen."
Verwundert sehe ich sie an. „Ich dachte du magst Riverdale? Schließlich arbeitest du für die örtliche Zeitung und du bist zurückgekommen."
Mom nickt und lacht leise, es ist ein schönes Lachen. „Ja, ich weiß. Ich liebe Riverdale ja auch. Es ist meine Heimat, hier fühle ich mich am wohlsten. Als ich jung war, wusste ich, dass ich irgendwann wieder herkommen würde. Das hat diese Stadt haben, diese gewisse Anziehung."
Auf einmal scheint es, als würde meine Mutter in Erinnerungen schwelgen. Ihr Blick ist leicht gesenkt, ihre Finger spielen mit dem Anhänger ihrer Kette und sie hat ein sanftes Lächeln auf den Lippen.
„Allerdings gab es auch eine Person, auf die ich gehofft habe, als ich zurückkam." Ihr Lächeln erstirbt.
„Wer denn?", frage ich einfach so heraus.
Mom sieht mich kurz an und lässt die Fassade dann schließlich fallen. „Ein Junge, natürlich! Natürlich war es ein Junge, Elizabeth."
Sie lacht ein herzliches Lachen und ich stimme mit ein.
„Früher sind mir die Herzen nur so zugeflogen, so wie die jetzt", erklärt meine Mutter.
Ich werde ein bisschen rot und winke schnell ab. „Quatsch, Mom."
Doch meine Mutter schüttelt den Kopf. „Nein, wirklich, Betty. Du bist hübsch und klug und attraktiv, mehr wollen die unreifen Highschool-Jungs erstmal nicht. Bis sie dann aber herausfinden, was für Frauen wir wirklich sind, dann rennen sie davon."
Ich weiß nicht genau, was Mom meint, aber ich höre ihr trotzdem gebannt zu. So eine Unterhaltung hatten wir schon lange nicht mehr, eigentlich noch nie.
„Jedenfalls war es natürlich eine pure Enttäuschung, als ich herausgefunden habe, dass meine erste große Liebe in den Jahren, in denen ich weg war, geheiratet und Kinder bekommen hatte. Dabei waren wir erst Mitte Zwanzig."
Ich kann mir meine Mutter einfach nicht als wilder Teenager vorstellen. Ich habe zwar Fotos gesehen, aber es ist nicht dasselbe.
„Und? Was ist dann passiert, erzähl weiter, Mom!", dränge ich, doch sie lacht bloß.
„Warte, ich setze noch eine Kanne Tee auf", sagt sie.
Und dann beginnt sie zu erzählen.
Alles, sie erzählt mir alles.
Ihre Geschichte. Alice' Geschichte.

I'm still in Love with You Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt