Alice' Geschichte Teil 5

247 11 9
                                    

Du musst wissen, Betty, all das, was ich gegen die Serpents sage und schreibe, das sind keine bloßen Vorurteile.
Ich kenne die Serpents gut, durch FP habe ich mich sogar mit einigen angefreundet, das hat allerdings nie lange gehalten.
Ich weiß, dass sie alle eine Familie sind. Eine große und arme Familie, die sich mit illegalen Geschäften über Wasser hält.
Und ich kenne auch die Jones.
Dass Jughead dich liebt, das ist mir klar, man sieht es ihm sofort an.
Dass FP mich liebte, das war mir auch klar, zu mindest für eine gewisse Zeit.
Aber, Betty, denk dran. Sie sind Schlangen, sie heißen ja nicht ohne Grund „Serpents".
Sie nehmen nur und geben nichts. Wir sind Beute für sie, gehören anscheinend gar nicht zu ihrer Spezis.
Man kann nicht gegen sie gewinnen, weil es immer mehr von ihnen gibt, sie immer mindestens einen Schritt voraus sind.
All das war früher nicht über die Serpents bekannt.
Die meistens Bewohner von Riverdale dachten nur, dass die Serpents eine kleine Truppe an jungen Southsidern ist, die hier und da mehr oder weniger starke Verbrechen anstellte.
Drogenschmuggel, Waffenhandel oder Rachezüge, all das geriet lange nicht an die Oberfläche.
Und die Wahrheit, dass die Serpents eine Jahre lange Tradition von Riverdale sind, diese Stadt teilweise mit gegründet hatten, das war uns Northsidern nicht bekannt.
Sie waren eben wie Schlangen, immer im Unterholz hielten sie sich versteckt.

Nun, wo war ich?
Als FP also die Stadt verließ, dachte ich, er würde nur für ein paar Tage untertauchen, bis sein Ekel von Vater sich abgeregt hat.
Auf dem Kuchenbasar im Diner erklärte ich Pop, dass FP noch einiges zu erledigen hatte, er würde vielleicht später vorbeikommen, die Zehn Dollar waren bei ihm sicher.
Es vergingen ein paar Tage, aber kein Tag, an dem ich nicht an ihn dachte.
In der Schule bemerkte ich, wie einige Serpents mich komisch angeguckten oder sogar tuschelten, wenn ich an ihnen vorbeilief,
Nach einer Woche wurde ich krank vor Sorge, mich erschlug die Sommergrippe, und ich verbrachte eine weitere Woche in Sorgen und Angst um FP, ohne auch nur ein Lebenszeichen von ihm zu bekommen. Er hatte nicht angerufen, keinen Brief geschickt, nichts!
Als ich wieder zur Schule gehen konnte, hörte das Getuschel unter den Serpents langsam auf. Die bohrenden Blicke bekam ich aber immer noch zu geworfen.
Eines Nachmittags, ich war gerade auf dem Weg nach Hause, bemerkte ich, dass mich ein rostiges schwarzes Auto verfolgte, über mehrere Straßen lang. Ich redete mir ein, ich sei paranoid, bis das Auto neben mir Halt fand.
Die verstaubte Scheibe am Beifahrersitz wurde runtergelassen. „Alice?", fragte eine rauchige, tiefe Stimme.
Dann erkannte ich Tallboy, mit einer Zigarette im Mund. Mir fiel auf, dass er eigentlich gar nicht so viel älter als wir war, vielleicht fünf, sechs Jahre. Seine kratzige Stimme und in Falten verzogene Stirn ließen ihn um mindestens Zehn Jahre älter aussehen.
Bevor ich antworten konnte, hielt Tallboy mir einen zerknitterten Briefumschlag hin.
„Lies ihn erst, wenn du zu Hause bist, hat FP gesagt", murmelt er und kurbelt die Scheibe schnell wieder hoch.
Ich bin so überrascht, dass ich Tallboy noch nicht einmal danken kann, so schnell wie er davon braust.
Zu Hause las ich den Brief von FP, gleich mehrere Male. Es waren einige Rechtschreibfehler drin, die Tinte war ihm zwischen durch leer gegangen. Seine Hauptaussage war aber, dass er in Toledo war, einen Platz zum Schlafen gefunden hatte und dass er einen Job als Automechaniker antreten wollte, um die Miete zu bezahlen. Er nannte mir aber keine Adresse, auch der Absender verriet nicht mehr, da er anonym war.
All diese Informationen sollten mir also sagen: FP würde nicht mehr zurück nach Riverdale kommen, nie wieder.
Aber natürlich glaubte ich das nicht als Siebzehnjähriges, naives und verliebtes Mädchen.
Ich schrieb ihm ebenfalls einen Brief und brachte ihn gleich am nächsten Tag zu Tallboy.
„Ich brauche FP's Adresse", sagte ich, als ich Tallboy vor der schäbigen alten Bar traf, natürlich rauchte er wieder eine Zigarette.
„Ich hab keine Adresse", murmelte er und schaute sich immer wieder um, als würde er etwas suchen.
„Aber du hast mir doch FP's Brief gebracht", erklärte ich. „Irgendeine Informationen zu seinem Aufenthaltsort musst du doch haben."
Tallboy schüttelte hastigen den Kopf. „Nein, Alice, hab ich nicht. Geh jetzt! Du bist hier nicht sicher, komm nie mehr wieder her, ja? Verstehst du endlich?"
Ich war schockiert über seine derartige Abweisung, aber ich wollte FP trotzdem unbedingt zurückschreiben.
Also schickte ich den Brief an die Stadt Toledo, in der Hoffnung, dass sie FP ausfindig machen würden.
Nach einer Woche wurde mir der Brief zurückgeschickt, der Absender war die Post in Toledo.
Ich versuchte es ein letztes Mal, indem ich einen Brief an eine Autowerkstatt in Toledo schickte, in deren Nähe ein Motel stand, vielleicht fand FP dort ja Unterschlupf.
Den zweiten Brief bekam ich nie zurück. Von FP hört ich seit seinem ersten und letzten Brief auch nichts mehr.
Es vergingen Tage, Wochen und Monate ohne irgendein Zeichen von ihm. Auf die Southside traute ich mich seit Tallboy's Abfuhr auch nicht mehr.
Also schloss ich die Highschool ab, ohne FP.
Ich ging zum Abschlussball, ohne FP.
Ich ging aufs College, nach Harvard, ohne FP.
Irgendwann hatte der Schmerz von Zurückweisung und Ablehnung nachgelassen, aber er ist nie ganz verschwunden, Betty.
Nach fünf Jahren Studium kehrte ich nach Riverdale zurück. Es hielt mich nicht viel in Harvard, nachdem ich das Studium für Journalismus abgeschlossen hatte, ich hatte wenige Freunde gefunden und hatte mich auch nicht mehr verliebt, geschweige denn verlobt.
In Riverdale bewarb ich mich beim Register, mein Kindheitstraum. Dann kaufte ich ein Haus und wohnte dort, eine Zeit lang.
Und dann, wie aus dem heiteren Himmel, traf ich wieder auf ihn.
Es war ein harter Arbeitstag im Büro gewesen und ich wollte mir noch einen Kaffee bei Pop's Diner holen, also hielt ich dort.
Als ich die Tür öffnete und FP hinter dem Tresen sag, traf mich fast der Blitz.
Wie er dort stand, in Uniform und Schürze, mit gegelten Haaren und rasierten Gesicht.
„Darf ich ihre Bestellung annehmen, Ma'am?", fragte er, ohne mich groß zu beachten.
Er erkannte mich nicht, es zerriss mir das Herz, Betty.
„FP?", fragte ich atemlos.
Dann endlich hob er den Kopf und seine Augen weiteten sich.
„Alice."
Mir kamen den Tränen, als er meinen Namen so aussprach, so direkt und selbstverständlich.
Seine Stimme zitterte, als er fragte: „Was machst du hier?"
Meine Trauer war verflogen und Glück breite sich in mir aus. „Ich bin seit ein paar Monaten zurück aus Harvard", erklärte ich stolz und FP lächelte. Er wusste, dass Harvard meine Traumschule gewesen war.
„Was machst du hier? Ich dachte, du bleibst für immer in Toledo."
FP schüttelte den Kopf. „Das wollte ich zuerst auch. Aber dann ist mein Vater gestorben, der alte Säufer."
„Oh." Ich wusste nicht, ob das eine gute oder schlechte Neuigkeit war.
„Auf jeden Fall arbeite ich jetzt hier", stellte FP fest. „Ich ... brauche das Geld."
Wie auf Knopfdruck ging die Tür zur Abstellkammer auf. „FP, ich habe wieder solche Rückenschmerzen. Wie lange geht deine Schicht noch?"
FP drehte sich um. „Noch eine halbe Stunde, Gladys, dann fahren wir nach Hause, ja?"
Die Frau, die dort im Türrahmen stand, war wunderschön, hatte langes Haar und gebräunte Haut. Und sie war ... dem Aussehen nach zu urteilen, hochschwanger.
Mit offenem Mund starrte ich Gladys an.
„Möchtest du ... äh, noch irgendwas bestellen, Alice? Ich meine, Ma'am?", fragte FP kleinlaut.
Ich wartete, bis Gladys die Tür wieder hinter sich zufallen ließ.
Dann griff ich nach dem Ring an meiner linken Hand, den Ring, den FP mir vor fünf Jahren geschenkt hatte.
Ich schleuderte ihm das Schmuckstück hinter die Theke.
„Hier!", rief ich. „Ich glaube, der gehört jemand anderen!"
Bevor FP noch irgendwas sagen konnte, verließ ich das Diner.

I'm still in Love with You Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt