Kapitel 23 (Betty's Sicht)

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„Romeo und Julia ist wohl das berühmteste Stück über die Liebe, das es auf der Welt gibt! Es repräsentiert Schmerz und Hass, aber vor allem die Liebe. Zwei junge Menschen, die sich treffen und sich sofort ineinander verlieben. Zwei Herzen, die zu einem werden. Wir, ja, richtig gehört! Wir haben die Ehre, dieses Stück als Musical noch in diesem Sommer zu performen. Es soll das beste Theaterstück werden, das die Riverdale High jemals aufgeführt hat, verstanden? Und ihr seid ein Teil davon!"
Nach dem Kevin seine enthusiastische Rede beendet hat, schaue ich verstohlen zu Archie rüber.
Heute ist Freitag, die erste Probe für unser Sommertheaterstück. Kevin hat sich in den letzten Wochen richtig ins Zeug gelegt und geschuftet, damit alles perfekt wird. Ich bin stolz auf ihn, trotzdem bezweifele ich meine Entscheidung ein bisschen. Wem spiele ich hier etwas vor? Ich bin doch bloß Betty, das liebe und unscheinbare Mädchen von nebenan. Das Mädchen, das Jahre lang in Archie Andrews verliebt war. In seinen roten Haarschopf, seine Sommersprossen und in seine warmen braunen Augen.
Ich weiß, davon sollte ich mich nicht einschüchtern lassen. Ich weiß, wer ich bin und was ich kann. Allerdings werde ich meinen Mitschülern wohl nie beweisen können, was in mir steckt.
Archie erwidert meinen flüchtigen Blick und lächelt gezwungen. Ich wende schnell den Kopf ab und pule energisch an der Wunde auf meiner Handfläche. Seit mehreren Wochen ist das so eine Art „Tick" von mir. Immer wenn ich aufgeregt oder nervös bin, ramme ich mir in die Fingernägel in die Haut, bis blutige, halbmondförmige Wunden entstehen. Jug ist es noch nicht aufgefallen, zum Glück. Ich weiß nicht, woher das kommt, aber es verleiht mir so eine Art von Sicherheit, schätze ich.
„Betty, Archie? Für euch gibt es gleich eine kleine Hausaufgabe", sagt Kevin und zwinkert mir verschwörerisch zu. Cheryl Blossom, die zwischen Josie und Veronica sitzt, schnaube verächtlich. Bis jetzt hat sie mich nur mit kühlen Seitenblicken attackiert, ein Wort hat sie noch nicht an mich gerichtet.
Kev reicht mir und Archie ein Blatt, auf dem mehrere Aufgaben aufgelistet sind. „Äh, Kev?", sage ich verwirrt, als ich mir die Aufgaben durchlese. „Ich glaube, du hast die Blätter vertauscht. Auf meinem steht, ich soll einen persönlichen Aufsatz über Romeo schreiben."
Kevin nickt eifrig. „Ja! Ja, genau! Die Idee ist mir gestern Abend gekommen. Ihr zwei werdet ja nicht nur irgendein Liebespaar spielen, ihr werdet Seelenverwandte sein. Ihr müsst den jeweils anderen richtig gut kennen. Quasi in und auswendig, verstehst du?"
Kevin strahlt und seine Wangen glühen vor Begeisterung. Ich nicke zögernd und schaue rüber zu Archie, der lächelnd einen Daumen in die Höhe regt. „Das wird super, Betty."
Ich ringe mich ebenfalls um ein Lächeln. Archie versucht die Spannung zwischen uns wohl zu überspülen, als wäre der „Unfall" im Auto nicht passiert. Jetzt bereue ich meine Entscheidung schon fast! Ich wünsche mich einfach nur in Jug's Arme, die mich umschlingen. Aber Jughead ist gerade wieder bei der Polizeistation und bespricht weitere Einzelheiten mit Sheriff Keller.
„Veronica? Ich möchte, dass du ebenfalls ein Portrait für Romeo anlegst. Du bist ja Betty's Zweitbesetzung."
Mit offenem Mund starren Archie und ich Kevin an. „Wie bitte?!"
„Sie ist deine Zweitbesetzung", sagt Cheryl noch einmal, laut und deutlich. „Das heißt, falls du dir zufällig ein Beim brechen oder dich jemand entführen sollte, dann übernimmt Ronnie deine Rolle."
Sie wackelt mit Augenbrauen und sieht mich herausfordernd an. „Aber das wird dir ja wohl nicht passieren, nicht wahr?"
„Cheryl, es reicht! Ich möchte, dass wir alle rücksichtsvoll miteinander umgehen", sagt Kevin streng, doch Cheryl rillt bloß mit den Augen.
Wieder bohre ich meine Fingernägel in meine Haut, in meinen Ohren rauscht es. Ich hasse sie! Ich hasse Cheryl Blossom!
„Gut, das wäre es dann von meiner Seite aus. Morgen treffen wir uns wieder hier, ich habe Principal Weatherbee darum gebeten, uns die Aula auch an dem Wochenenden zur Verfügung zu stellen. Ich erwarte euch alle um Punkt 11:00 Uhr auf dem Schulgelände. Ich maile euch die Songtexte, die ihr für unsere musikalischen Szenen braucht. Vielen Dank nochmals an die Pussycats, die mir netterweise bei dem Entwerfen unserer Songs geholfen haben."
Kevin deutet in Josie's Richtung und applaudiert ihr. „Archie, Betty und Ronnie? Die Portraits sind erst bis nächsten Mittwoch fällig, wenn ihr früher fertig werdet, könnt ihr sie mir per E-Mail schicken."
Ich nicke mechanisch und kann das warme Blut unter meinen Fingernägeln spüren. Dann dürfen wir endlich aufstehen und die Aula verlassen. Die erste Probe hat sich wirklich wie eine Ewigkeit angefühlt! Ich bin total ausgelaugt und sehne mir einen Kaffee herbei.
Gerade als ich zur Tür hinaus bin und schön die Frische Frühlingsluft einatme, werde ich aufgehalten.
„Betty? Warte!"
Ich drehe mich um und sehe in der kleinen Traube an Schülern, die sich jetzt auflöst, Archie stehen. Er wartet einen Augenblick, bis sich die letzten Schüler außer Hörweite sind.
„Was gibt's?", frage ich und balle meine Hände zu angespannten Fäusten. Archie lächelt verschüchtert, kann meinen Blick aber nicht standhalten. Dann wird sein Gesicht auf einmal ernst und er dämpft die Stimme.
„Ist alles okay bei dir, Betty?"
Es klingt eindringlich, nicht nach einer Frage. Ich bin vollkommen überrumpelt und weiß nicht, wie ich meine Reaktion überspielen soll.
„Äh ... ja? Klar, es ist alles in Ordnung."
Archie spannt seinen Kiefer an und fährt sich mit einer hektischen Bewegung durch die roten Haare. Mir fällt auf, dass sein Haar etwas länger geworden ist. Und heller, vermutlich durch die Sonne.
Archie nickt in Richtung meiner immer noch zu Fäusten geballten Hände.
„Ich ... ich habe gesehen, wie du dir die ... Fingernägel in die Handflächen gebohrt hast. Es hat geblutet, ich habe es genau gesehen."
Mist! Reflexartig Verstecke ich meine Hände hinterm Rücken. Ich spüre, wie mir die Rote die Wangen hinaufkriecht. „Ich ... habe mich an dem Arbeitsblatt geschnitten", lüge ich schnell. Doch man kann nicht überhören, wie sehr meine Stimme zittert.
Archie sieht mich wieder mit diesem intensiven Blick an. Doch dann entspannen sich seine Gesichtszüge wieder, als er meine scharlachrotes Gesicht mustert. „Du musst mich nicht anlügen, Betty", flüstert er leise. „Weiß Jug davon?"
Ich schüttele heftig den Kopf. Heiße Tränen steigen in meine Augen und versperren mir die Sicht. „Nein", presse ich heraus. „Nein! Er ... es ist nichts schlimmes. Es ist nicht mal der Rede wert, Arch. Bitte, vergiss es einfach, okay?"
Archie sieht mich mitleidig an, während mir die Tränen über die Wangen laufen. In seinem Blick liegt so viel Gefühl, Schmerz ... aber vor allem Verständnis.
Er nickt leicht und legt mir eine Hand auf die Schulter. „Es ist okay", flüstert er. „Es ist alles okay. Ich sage es niemanden. Ich rede auch nicht mit der darüber, wenn du nicht willst."
Ich lächele zitternd. Ich fühle mich unter seiner formalen Berührung ein wenig unbehaglich. Früher waren wir nie so. Früher konnten wir uns in den Arm nehmen und es fühlte sich nach Geborgenheit an. Jetzt kann ich merken, wie verkrampft sein Arm unter dieser Bewegung ist. Und wie ich meine Schulter anspanne, weil er mir fremd vorkommt.
In diesem Moment wird mir bewusst, dass ich ihn verloren habe. Archie Andrews, meine Sandkastenliebe und mein Kindheitsfreund.
Nur weiß ich nicht, wie ich ihn verlieren konnte ...

I'm still in Love with You Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt