Kapitel 30 (Betty's Sicht)

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Jughead's Unterarm verkrampft sich, als ich vor Schreck meinen spitzen Fingernägel hinein kralle.
Ich kann es nicht glauben!
Meine Mutter steht hier vor uns im Pop's, natürlich in einer perfekt gebügelten Bluse und einer wie angegossen passende Hose. Elegant streicht sie sich eine glatt geföhnte Haarsträhne aus dem Gesicht.
Ich habe sie seit Wochen nicht mehr gesehen. Irgendwie erscheint sie mir auf einmal so ... fremd.
„Ich wusste gar nicht, dass du noch immer in Riverdale wohnst", sagt Gladys und gähnt herzhaft. „Diese langweilige Stadt passt wirklich perfekt zu dir."
Meine Mutter lacht gekünstelt und stemmt eine Hand in die Hüften. „Zumindest habe ich mich nicht von irgendeinem Idioten schwängern lassen", ruft sie aus, woraufhin es am Tisch still wird.
Das stimmt nicht ganz, denke ich. Jedenfalls kenne ich meinen Vater nicht.
„Wie ich sehe, hast du ja schon meine Tochter kennengelernt", fährt Mutter fort und zeigt auf mich. „Ist Elizabeth nicht einfach bezaubernd?"
Ihr Tonfall ist schrill, laut und ironisch.
Gladys sieht mich ungläubig an. „Das ist deine Mutter, Betty? Alice Susanna Smith?"
Ihr Mund steht vor Schreck weit offen, immer wieder schaut sie zwischen mir und Alice hin und her.
Meine Mutter nickt stolz und deutet Jughead an zu rutschen. Sie lässt sich auf das rote Polster fallen und faltet die Hände zusammen. „Ja, das ist sie. Jedenfalls war sie das mal, bevor sie sich auf deinen Sohn eingelassen hat. Er hat sie wirklich vollkommen verdorben, meine unschuldige Tochter."
„Auf mich scheint sie nicht mehr so unschuldig zu sein", sagt Gladys mit einem vielsagenden Blick und nippt an ihrem Wasser.
Jetzt ist wirklich keine Zeit für Witze.
„Und wer ist das da?", fragt Alice und deutet auf Jellybean. „Du siehst FP ja wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten."
Bis jetzt wusste ich nicht, dass meine Mutter anscheinend so vertraut mit den Jones war. Als Gladys und vorhin erzählt hat, dass sie hier zur Schule gegangen ist, hätte ich es mir schon denken können. Immerhin ist meine Mom hier auf der Northside aufgewachsen, bei ihren Großeltern.
„Sie ist ja auch FP's Tochter", erklärt Jug's Mutter und tätschelt Jellybean aufrichtig die Schulter. Meine Mutter nickt desinteressiert und kramt stattdessen in ihrer neuen Chanel-Handtasche.
Sie holt ein Notizbuch heraus, das in schwarzes Leder gebunden ist. Sie schlägt es auf und zückt einen Kugelschreiber, der ebenfalls schwarz ist aber mit einer silbernen eingravierten Schrift: „Alice S. Cooper".
„Wie Betty dir bestimmt schon erzählt hat, arbeite ich für den Riverdale Register", sagt meine Mutter, während sie das Datum oben rechts in ihr Notizbuch schreibt.
Gladys schüttelt lässig den Kopf. „Eigentlich redet Betty nicht viel über dich. Genau genommen nie."
Jughead und ich haben bis jetzt kein Wort gesagt. Wir sitzen einfach da, auf dem roten rissigen Leder im Pop's und können nicht glauben, was vor unseren Augen gerade stattfindet.
„Ich habe von einer vertraulichen Quelle mitbekommen, dass FP nun im Gefängnis sitzt. Das ist bestimmt eine Story, die ganz Riverdale interessiert. So wird mal wieder unter Beweis gestellt, was für dreckige Leute ihr Serpents seid."
„Mom!", schreie ich laut und schlage mit der Faust auf den Tisch, so dass das Geschirr klirrt.
Kurz scheint Alice erschrocken zu sein, doch sie fasst sich schnell wieder.
„Elizabeth, bitte. Das hat ja mal kein Stück mit dir zu tun."
Ich spüre das Blut in meinen Adern kochen. Gleich werde ich explodieren, ich weiß es. Unter dem Tisch krallen sich meine Fingernägel in meine Haut. Ich warte einige Sekunden, bis ich das warme Blut unter meinen Nägeln fühlen kann.
„Und ob es etwas mit mir zu tun hat", zische ich wütend und starre in ihre vor Schreck geweiteten blauen Augen.
„Ich bin ein Serpent. Ich gehöre dazu."
Es ist das erste Mal, dass ich diese Worte ausspreche. Sie hinterlassen Spuren in der scharfen Luft.
Alice sieht mich fassungslos an. In ihren Augen funkelt der Hass, der Ekel.
„Betty",sagt Jughead leise und greift nach meiner Hand, doch ich ziehe sie weg, bevor er etwas bemerkt.
„Das ist richtig, Mom, ich gehöre dazu. Ich bin ein Serpent, so wie FP, Jug und Gladys. Diese Menschen sind meine Familie, nicht du. Diese Menschen akzeptieren mich. Diese Menschen lieben mich. Ein Gefühl, dass du noch nie für mich empfunden hast."
Eine einzelne Träne rinnt meine Wange hinunter. Ich weiß nicht, was ich nun erwarte. Erwarte ich, dass meine Mom vor mir auf die Knie fällt, mir sagt, dass sie mich liebt, um Vergebungen bettelt?
Erwarte ich, dass sie mich anschreit, mich beleidigt, mich verstößt?
Ich weiß es nicht.
Nichts der beiden passiert.
Alice schluckt einmal schwer, dann blinzelt sie, ganz oft hintereinander. Die Stille im Pop's ist drückend.
Schwer und drückend.
Das Erste, was ich wahrnehme, ist das Klicken des Kugelschreibers. Sie packt in ihre Handtasche, zusammen mit dem Notizbuch. Sie atmet zitternd aus und sucht in ihrer Tasche nach irgendwas. Einige Gegenstände stoßen einander, bis sie findet, was sie sucht.
Meine Mutter reicht mir einen Umschlag aus dickem cremeweißem Papier. Ihre Hand zittert, als sie ihn vor mir auf den Tisch legt.

»Elizabeth Cooper«
Yale University

Das ist die Überschrift des Briefs. Ich starre Alice ungläubig an. Wenn es das ist, was ich denke ...
„Mom", stoße ich hervor, das Atmen fällt mir schwer.
Sie steht auf und verschließt ihre Tasche, dann zuckt sie mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich habe noch nicht reingesehen. Ich wünsche es dir, Betty."
Sie lächelt mir zu. Das traurigste Lächeln der Welt. Ein Lächeln, das man so nicht mal nennen darf. Den ganzen Schmerz, den es trägt.
Es zerreißt mich.
Alice dreht sich um und geht Richtung Ausgang, ihre High Heels klappern auf den schwarz-weißen Fliesen.
Als sie die Tür öffnet, bimmelt die kleine Glocke darüber.
Dann ist es still, totenstill.

I'm still in Love with You Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt