𝕻𝖗𝖔𝖑𝖔𝖌. 𝔊𝔢𝔤𝔢𝔫𝔴𝔞𝔯𝔱

325 30 17
                                    

𝕻𝖗𝖔𝖑𝖔𝖌

𝔊𝔢𝔤𝔢𝔫𝔴𝔞𝔯𝔱


Ihr Schädel dröhnte.

Mit einem Stöhnen erhob sie sich.

Es dauerte eine ganze Zeit, bis sie sich an den Geruch des Zimmers gewöhnt hatte.

Cal hasste starke Gerüche aller Art.

Diesmal roch es nach Heidelbeere und stechendem Kiefernholz, mit einer Note betäubenden Lavendels.

Was zum Teufel hast du genommen?

Sie kannte keine Droge, die so einen Gestank produzieren würde.

Sie stand auf. Der Raum drehte sich.

Zwischen einem Glas Wasser und ihrer letzten Schmerztablette stellte sie fest, dass sie sich an nichts mehr erinnern konnte.

Kein seltener Zustand in ihrem Fall.

Nach einer Weile, in der sie billigen roten Samt und Plastiksatin auf sich wirken gelassen hatte, ging ihr auf, dass sie in einem der Stundenhotels von Inges Straße gelandet war.

War sie allein gekommen?

Sie kniete sich vor den Nachttisch. Kein Geld, keine Kondome.

Keine aufgerissenen Packungen, keine Spritzen.

Hatte sie etwas geraucht?

Sie suchte in ihrer Tasche nach dem Geldbeutel.

Jeder verdiente Cent war daraus verschwunden.

Mit einem weiteren Stöhnen legte sie den Kopf in den Nacken. Sie musste etwas essen, aber offensichtlich war die Cal von letzter Nacht nicht der Meinung gewesen, dass das überlebenswichtig wäre.

Cal richtete sich auf und machte sich auf den Weg in die Dusche. Noch immer halb betäubt.

Das heiße Wasser spülte ihren Schweiß weg, nicht aber die Nachwirkungen der Droge oder die Gedanken an das Bevorstehende.

Sie stellte fest, dass auch sie nach dem Zeug roch. Selbst nach ausgiebiger Nutzung des Duschgels, das das Hotel bereitstellte.

Sie rümpfte die Nase und stieg aus der Dusche, das Badezimmer ein Dampfbad billigster Sorte.

Cal vermied es, den Spiegel freizumachen. Sie war ganz froh, dem eigenen, eingefallenen Gesicht nicht entgegenblicken zu müssen.

Nackt, wie Gott sie in seiner Ungunst geschaffen hatte, betrat sie wieder das Schlafzimmer, in dem der Geruch hing wie eine fette Spinne.

Ihre Sachen lagen auf dem Boden verteilt, als hätte sie die letzte Nacht nicht allein verbracht. Mühsam sammelte sie ihre dürftige Unterwäsche auf.

„Hallo, Caroline."

Sie erstarrte. Niemand nannte sie Caroline. Hier wusste man nicht einmal, dass das ihr wirklicher Name war.

Wer also sprach mit ihr, wenn nicht die hässliche kleine Stimme in ihrem Kopf?

Als sie sich umdrehte erkannte sie, dass es keine Stimme in ihrem Kopf gewesen war.

Da saß ein Mann in der Ecke des Zimmers.

„Nett.", erwiderte sie. Die Unterwäsche in ihren Händen ließ sie nicht los.

„Ich wünschte, ich hätte dich unter anderen Umständen treffen können, leider bleibt mir aber keine Wahl. Du weißt am besten, wie schwer du zu finden warst."

Einen Scheiß bin ich, sonst wärst du jetzt nicht hier.

„Ich wollte nicht gefunden werden."

Cal machte sich nicht die Mühe, ihre Blöße zu bedecken. Leider schien das den Mann in der Ecke des Zimmers nicht aus der Ruhe zu bringen.

„Das möchte ich wiedergutmachen. Wie wäre es mit einem Abendessen? Heute Nacht? Ich habe um zehn einen Tisch im Cloudes reserviert."

„Du möchtest das nicht hier klären? In einem Stundenhotel für Nutten? Ich dachte, das wäre der perfekte Ort für Gespräche wie diese."

Der Mann neigte den Kopf. Er stand auf, groß und schlank, in einem maßgeschneiderten schwarzen Anzug.

„Mein Fehler. Ich hätte draußen auf dich warten sollen."

„Hast du mir die Drogen gestern Abend gegeben?"

Cal traute ihm alles zu.

„Nein, Caroline, ich bin dir gefolgt. Als ich deinen Konsum aus der Ferne bezeugte, dachte ich mir, es wäre am ratsamsten, dich erst am nächsten Tag anzusprechen."

Der Geruch. Natürlich. Lavendel klebte als giftige Erinnerung an ihr. Sie hätte von Anfang an Verdacht schöpfen müssen.

Als sie länger nichts sagte, ging der Mann auf die Tür zum Flur zu. Cal war so angespannt, dass ihr Nacken zu schmerzen begann.

„Also dann. Zehn im Cloudes."

„Ich werde nicht kommen. Das weißt du. Ich will nichts mehr mit der Sache zu tun haben."

Das beflissene Lächeln des Mannes gefror für einen Moment. So kurz, dass nur Cal es erkennen würde.

Sein Gesicht zu lesen war ebenso leicht, wie eine Steintafel Sumerisch zu entziffern. Elfenbeinfarbene Haut lag glatt und rein auf scharfen Knochen, dichte Brauen saßen über ewig glühenden Augen. Lippen, die jede Lüge glaubhaft machten.

Aber Cal hatte aus ihren Fehlern gelernt.

„Ich biete dir eine Chance, Caroline."

„Nein, du brauchst mich, das ist ein Unterschied. Lass es gut sein. Dann gibt es weder Blut noch Tränen."

Bedauern trat in das Gesicht des Mannes.

So echt, dass man es beinahe glauben konnte.

„Wie schade. Ich habe oft genug versucht, dich zu überzeugen. Es ist schmerzhaft zu sehen, dass sogar diese Welt dir sicherer erscheint, als unsere."

Er sprach ein empfindliches Thema an. Cal hatte sich oft genug gefragt, ob sie das wirklich war.

Sicherer.

Tag und Nacht fürchtete sie sich. Vor Dealern, Zuhältern, anderen Frauen und der Polizei. Ihr Körper gehörte ihr nicht mehr. Er war ein Wegwerfprodukt geworden, etwas, was man sich nicht gerne ansah.

Am meisten aber fürchtete sie den Mann.

Sie würde es ihm nicht zeigen, es war ihr größtes Talent, das Offensichtliche zu verstecken. Dieser Mann war das gefährlichste Raubtier dieses Planeten. Und vermutlich auch aller darauffolgenden.

Vitriol. Der SchakalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt