𝔊𝔢𝔦𝔰𝔱

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𝔊𝔢𝔦𝔰𝔱


Letztes Jahr


Doch noch bevor er richtig zielen konnte, peitschten drei Schüsse in rascher Folge durch die Kirche. Cal stieß einen heiseren Schrei aus und rollte sich geistesgegenwärtig unter den Altar.

Drei der fremden Männer fielen zu Boden, sie hörte Stimmen über sich.

Cascard brüllte etwas, alle außer Ascensen und Kardinal Valentia zogen Schusswaffen und suchten die Galerie nach den Tätern ab.

Die Galerie. Richtig.

Cal erinnerte sich daran, dass die Galerie in der Kuppel der St. Pauls Cathedral auch Flüstergalerie genannt wurde. Eine exakte Berechnung der Krümmungen und Flächen sorgte dafür, dass man selbst bei der Entfernung von dreißig Metern eine Person auf der anderen Seite der Galerie flüstern hören konnte.

Schall wurde untypisch durch den Raum geworfen.

Die Inquisition am Boden der Kirche konnte nicht bestimmen, von wo die Stimmen in der Kuppel kamen.

Cascard schoss zweimal wahllos in die Galerie, Putz bröckelte von den Wänden.

Cal strengte sich an und schloss die Augen. Die Angreifer schrien laut durcheinander, um die Inquisitoren zu verwirren. Sie hörte New Orleans, einen weiteren Schuss, ein Handlanger Cascards ging zu Boden.

Und Blake. Blakes tiefe Stimme war unverwechselbar.

In ihrer Brust breitete sich das Gefühl endloser Erleichterung aus. Wäre die Situation nicht so gefährlich gewesen, hätte sie sich fast gefreut.

„Soll ich nach oben gehen?", fragte einer von Cascards Leuten.

„Die werden ja wohl nicht so blöd sein, die Eingänge unbewacht zu lassen.", knurrte Cascard. „Schützt den Kardinal!"

Die beiden verbliebenen Männer postierten sich vor der Holzbank, unter der Valentia sich verschanzt hatte.

Cal konnte den Kardinal noch nicht richtig einschätzen. Entweder, er war ein Feigling, oder er war ein gerissener Geschäftsmann. In diesem Moment jedenfalls war er einfach nur ängstlich.

Cal schrie auf, als Cascard sie unter dem Altar hervorzerrte.

Er brüllte etwas auf Französisch und presste den Lauf seiner Waffe gegen ihre Schläfe.

Cal tänzelte mit den zusammengebundenen Füßen auf dem Boden auf und ab, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. In der sich ausbreitenden Stille wirkte ihr Keuchen unnatürlich laut. Wenn sie sich jetzt fallen ließ, würde Cascard ihr höchstwahrscheinlich den Arm ausrenken. Sie biss die Zähne zusammen und fixierte die Flüstergalerie.

„Ich habe eure kleine Freundin.", rief Cascard. „Ihr seht das, habe ich recht? Wenn noch ein Schuss fällt, ist sie tot."

Cal wagte kaum, zu atmen.

Das Metall der Pistole drückte sich kalt in ihre Haut.

Auf der Flüstergalerie blieb es ruhig. So lange, bis Cal fast glaubte, sie wäre wieder leer. Doch dann durchbrach eine Stimme die Stille, schneidend wie frisch geschärftes Messer.

„Warum erschießt du sie nicht gleich? Das ist es doch, was ihr wollt, oder?"

Es war Blake gewesen. Ohne jeden Zweifel. Cal hoffte inbrünstig, dass auch hinter diesen Worten ein Plan steckte, sonst würde Cascard ihr Hirn ohne zu Zögern auf dem steinernen Altar Gottes verteilen.

Vitriol. Der SchakalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt