𝔊𝔢𝔦𝔰𝔱
Letztes Jahr
Sie stand mitten in einer Menschenmenge. Alle starrten sie an. Cal war nicht nackt, aber sie fühlte sich nackt.
Um sie herum gafften nur Männer. Sie zeigten mit den Fingern auf sie, boten sich an, hielten eine Menge Geld vor ihre Nase, damit sie mit ihnen schlief.
Es gab keinen Ausweg.
Von irgendwoher drang eine bekannte Stimme zu ihr durch.
Töte dich, du Schlampe. Du bist nichts wert.
Sie sah sich um, aber der unmenschliche Mann war nicht da. Nur seine Stimme.
„Lasst mich gehen."
Cal schossen die Tränen in die Augen. Hundert Hände berührten sie gleichzeitig, an jeder Stelle ihres Körpers.
Einige drangen in ihren Mund ein, in ihre Nase, ihre Ohren. Sie betasteten ihr Inneres. Cal hatte keine Privatsphäre mehr. Die Männer wussten alles über sie. Ihr Körper gehörte ihr nicht mehr, er gehörte den Männern.
Töte dich, ich bin der einzige, der noch was mit dir anfangen kann. Vor Gottes Augen bist du eine Sünderin.
Cal suchte wieder nach dem Mann, aber er war nicht da, er war nicht da. Stattdessen blickte sie in fünfzig Augenpaare, die alle gleich aussahen.
Jeder hier wusste, wer sie war. Jeder hier wollte sie, weil sie nichts anderes konnte.
Sie schnappte nach Luft.
-
Cal schnappte nach Luft.
In der Festung war es dunkel, sie lag auf der Seite, den Blick auf die Uhr gerichtet, die auf ihrem Nachttisch stand. Sie zeigte halb fünf.
Missbrauch.
Warum war es ihr nicht schon früher aufgefallen?
Sie stand auf und zog sich eine Hose an. Ihr Top flatterte unförmig um ihre Mitte.
Cal wurde schlecht, wenn sie an Essen dachte. Ihr war bewusst, dass ihre Arme und Beine nicht mehr waren als Äste, die jeden Moment zu brechen drohten, aber sie konnte nichts dagegen tun.
Sie ging ins Bad und trank ein Glas Krahnwasser. Es war kalt und füllte ihren Körper mit Gefühl.
Sie starrte ihr Spiegelbild an.
Sie hatte seit drei Tagen mit niemandem gesprochen. Sie hatte nichts gegessen und nicht nach Blake gefragt.
Raphael Ascensen war zurückgekehrt, ohne Neuigkeiten von Silence oder Blake zu bringen. Seine Augen waren warm, aber auch die konnte Cal nicht ertragen.
Jeden Tag wünschte sie sich mehr, jemand würde sie küssen. Irgendjemand. Irgendjemand, der sie berührte.
Sie konnte kaum noch zwischen Angst und Glück unterscheiden.
Cal stützte die Hände auf den Rand des Waschbeckens und schloss die Augen. Jetzt hatte sie nicht nur mit dem Kolloquium zu kämpfen, sie rang auch mit ihren eigenen Problemen. Das hatte sicher nicht zu Blakes Plan gehört.
Müde stieß sie sich ab und verließ ihr Zimmer.
Dorcas saß nicht an ihrem Platz.
Aha. Sie schläft also doch.
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Vitriol. Der Schakal
Mystery / Thriller[ABGESCHLOSSEN] VISITA INTERIORA TERRAE RECTIFICANDO INVENIES OCCULTUM LAPIDEM. Der Leitsatz der Alchemisten. LASCIATE OGNI SPERANZA, VOI CH'ENTRATE! Dante Alighieri, Göttliche Komödie. - Das Kolloquium existiert seit Jahrhunderten. Eine mächtige G...