𝔊𝔢𝔦𝔰𝔱

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𝔊𝔢𝔦𝔰𝔱


Letztes Jahr

Als sie das nächste Mal die Augen öffnete, war es dunkel um sie herum.

Der Kater-Kopfschmerz vermischte sich mit einem anderen, übleren Stechen. Sie tastete nach ihrer Stirn und spürte eine Schwellung.

Vorsichtig richtete sie sich auf und sah sich um.

Es war dunkel. Und kühl. Die Sommerhitze wich der ausgleichenden Nacht.

Cal brauchte sich nicht erst daran zu erinnern, was passiert war. Sie hatte es noch immer vor Augen, glasklar.

Wie kann man so viel Pech haben?

Nein, das war kein Pech gewesen. Ausschließlich eigene Blödheit.

Sie öffnete den Mund und ihre trockenen Lippen rissen auf.

Wohin jetzt?

Wohin jetzt, du Genie?

Ihr Stolz stand ihr im Weg, wenn sie daran dachte, in die Festung zurückzukehren.

Dabei brauchte sie Hilfe. Sie wusste das.

Du wurdest am Kopf getroffen, mindestens zweimal. Du hast das Bewusstsein verloren, Schaden: Gehirnerschütterung, Fraktur nicht ausgeschlossen, Flüssigkeitsmangel, Sonnenbrand, möglicherweise Sonnenstich.

Sie lag noch immer mitten auf dem Platz. Auch diese Leute hatten sie einfach liegengelassen.

Oh ja, darin sind Junkies großartig. Sich vor Verantwortung drücken. Genau das hast du auch getan, als du gestern abgehauen bist.

Stimmen wehten zu ihr herüber.

Cal spürte, wie ihr Puls in die Höhe schnellte. Trotz der Schmerzen richtete sie sich auf und machte, dass sie davonkam. Es war sicherer, jetzt niemandem mehr zu begegnen. Die Grenze zwischen Verletzen und Umbringen verschwamm, wenn das Opfer sich ohnehin nicht wehren konnte.

Sie verzog sich in die Schatten einer Gasse, die leer zu sein schien.

Denk an deine Verletzungen. Ins Krankenhaus?

Sicher nicht. Das würde mehr Probleme geben, als sie brauchen konnte.

Dann hast du keine Wahl. Zurück zur Festung.

Wo war sie überhaupt?

Sie kannte die Hallen, erinnerte sich aber kaum an das Stadtviertel.

Ziellos ging sie weiter.

An einer großen Straße angekommen strich sie sich Haarsträhnen ins Gesicht. Nur für den Fall, dass ihre Blessuren auch äußerlich sichtbar waren.

Sie schlich an den wenigen Menschen vorbei, die sich um diese Uhrzeit noch rumtrieben, und folgte einem leuchtenden Metro-Schild.

Im Untergrund angekommen schlängelte sie sich durch die Kartenkontrollen, warf einen Blick auf den Fahrplan und machte sich auf den Weg zum richtigen Gleis.

Je tiefer sie unter die Erde ging, desto weniger Leute kamen ihr entgegen.

Am Gleis setzte sie sich auf eine Bank. Die Uhr über ihrem Kopf zeigte halb zwei. Die einzigen, die die Einsamkeit mit ihr teilten, waren ein paar Ratten, die geschickt zwischen den Hochspannungsleitungen umherhuschten.

Cal fühlte sich seltsam.

Nicht der Verletzungen wegen, es war etwas anderes. Sie fühlte sich wie damals, wenn sie Angst bekommen hatte.

Vitriol. Der SchakalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt