𝔊𝔢𝔦𝔰𝔱

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𝔊𝔢𝔦𝔰𝔱


Letztes Jahr


Cal atmete tief durch. Sie musste sich darauf einstellen, ihn vielleicht nicht wiederzusehen.

Das Kolloquium ohne Blake? Es wäre sicher auch Malory seltsam vorgekommen.

„Kann man denn gar nichts tun?"

„Falls du jetzt an eine Ein-Mann-Rettungs-Aktion denkst: nein. Wir spielen unser Spiel nicht gegen den Staat. Es stimmt, wir haben gewisse Privilegien und sind durchaus dazu in der Lage, uns aus unschönen Situationen rauszureden, aber das hier ist anders. Die Inquisition muss das lange vorbereitet haben."

„Also ... nur noch wir drei. Plus Dorcas."

„So sieht es aus."

„Kann ich Blake erreichen? Wo auch immer er gerade ist."

„Nein. Er kann Anrufe tätigen, aber die werden überwacht. Er kann also nur mit mir frei sprechen, weil ich sein Anwalt bin. Falls du Fragen hast, bin ich gerne bereit, sie dir zu beantworten."

So einfach war das nicht. Cal sollte eine Aufgabe, die sie mit Blake gemeinsam begonnen hatte, alleine zu Ende bringen. Sie wusste nur einen Bruchteil von dem, was das Kolloquium sich über Jahrhunderte erarbeitet hatte.

Und jetzt stand sie auch noch unter Druck.

„Warum sind wir hier? Hat es mit der Rue d'Enfer zu tun?"

Überrascht hob Ascensen eine Augenbraue.

„Das hast du also mit dem Laptop gemacht?"

„Ja. Das Internet spuckt zwar nicht besonders viel aus, aber die einzigen Bezüge zur Hölle, die irgendwie schlüssig klangen, habe ich mir gemerkt."

Ascensen lehnte sich zurück.

„Die Rue d'Enfer war schon immer ein Problem. Wir wissen, dass der Name der Straße nicht vom Einsturz kommt, was naheliegen würde. Es gibt kaum greifbare Überlieferungen darüber, woher der Name kam." Er zögerte. „Unsere Vorfahren haben sich immer wieder mit dem Unglück 1774 befasst, darum kamen auch wir vor ein paar Jahren hierher, um mehr darüber zu erfahren. Einige Thesen den Namen betreffend erzählen von Zusammenhängen mit dem Zollhaus am Anfang der Rue d'Enfer – die Barrière d'Enfer. Haltbar ist das nicht. Viel mehr ist der Volksmund interessant. Alteingesessene Pariser sprechen immer noch davon, dass unterhalb der Rue d'Enfer zu tief gegraben wurde."

„Die lächerlichen dreißig Meter?"

Seine Augenbrauen schossen in die Höhe.

„Blake glaubt, dass die Hölle ein Konstrukt ist. Es kommt nicht darauf an, wie tief man gräbt, die Hölle liegt nicht so und so viele Meter unter der Erde. Er glaubte, dass es an einigen Orten Zugänge gab, die man als Lebender nicht betreten konnte, ohne dabei gewissen Voraussetzungen erfüllt zu haben. Das heißt, es ist vollkommen irrelevant, wie tief man in die Erde geht – der Zugang zur Unterwelt öffnet sich ohnehin nur dem, der würdig ist."

„Also – ihr geht davon aus, dass die Hölle ein greifbarer Ort unterhalb unserer Erdoberfläche ist und gleichzeitig nicht immer da ist?"

„Schwer vorzustellen, nicht wahr?"

„Warum sollte die Rue d'Enfer dann zusammenstürzen, wenn der Zugang so gut verschlossen ist, dass nur Würdige hindurchkommen?"

„Das wissen wir nicht. Es lässt darauf schließen, dass jemand davon wusste und den Zugang verschließen wollte. Aber wir können nichts sagen. Gar nichts. Es ist nur eine Theorie."

Vitriol. Der SchakalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt