Kapitel 16 - A L L I E

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Ein Klopfen reist mich aus meiner Konzentration. Ich stehe auf und gehe an die Tür. Meine Beine sind schwer. Die Schicht im Restaurant heute war mehr als anstrengend. Gefühlt die ganze Stadt wollte heute Abend dort essen.

Ich platziere ein Lächeln in mein Geschicht und mache die Tür auf. Finn steht grinsend mit Blumen in der Hand da. Zu Lächeln fällt mir jetzt definitiv nicht mehr schwer.

„Hey Schönheit.“

„Hi Finn. Was wird denn das?“

„Kleine Entschuldigung das ich jetzt erst kommen konnte und du schon ohne mich anfangen musstest.“

Ich nehme ihm die Nelken ab und lege sie auf den Tisch. Ich glaube nämlich das ich noch nicht einmal eine Vase besitze. Brauche ich sonst ja auch nicht.

„Oh wow! Du bist schon weit!“

Finn steht bewundernd vor dem Bild. Mit verschenkten Armen betrachtet er das Bild gespielt kritisch und mit verengten Augen.

Lachend schiebe ich ihn ein Stück zur Seite, damit ich wieder auf den Hocker sitzen kann und nehme den Pinsel wieder in die Hand. Finn geht in die Küche und kommt mit Wasser und einem weiteren Stuhl zurück.

Er setzt sich schräg hinter mich. Belustigt drehe ich mich zu ihm um.

„Mal ruhig weiter. Von hier aus habe ich den besseren Blickwinkel.“ Er hebt die Hände und bildet mit seinen Fingern ein Viereck, durch das er hindurch sieht.

„Du bist gut drauf heute, oder?“

„Hab mich schon den ganzen Tag auf das hier gefreut.“

Wow. Heute hängt er aber wirklich den Charmeur raus. „Hat Jack dich angewiesen charmant zu sein?“

„Tjaaaa... Jacky meinte es sei vielleicht angebracht, wenn ich schon zu spät komme.“

Ich schüttle nur den Kopf und tunke den Pinsel wieder in die Farbe. „Und seit wann hörst du auf ihn?“

„Das weiß ich auch nicht so genau. Vielleicht sollte ich deswegen beunruhigt sein.“

Ich male weiter. Sanft fahre ich mit dem Pinsel auf der Leinwand entlang. Die Hälfte habe ich schon geschafft. Vor der Arbeit habe ich ein wenig gemalt und auch nachmittags bis ich ins Restaurant musste.

Auf dem Weg dorthin ist mir eingefallen, dass ich auch noch andere Verpflichtungen habe, damit meine ich meine Mum... Finn hat es geschafft mich vollkommen aus meinem Schneckenhaus heraus zu locken, ohne das ich es überhaupt gemerkt habe!

Ich habe Mum total vergessen. Ich sollte deswegen kein schlechtes Gewissen haben. Immerhin hat sie auch keins, doch ich bin eben ich und deswegen fühle ich mich trotzdem schuldig. Die Woche ist schon fast vorbei, was heißt, dass ich sie mal wieder besuchen muss.

Dad ruft alle zwei Tage an. Er hat erschöpft geklungen.

All das ist wieder auf mich herein gebrochen und ich musste mich kurz hinsetzen. Mein Kopf fühlte sich so voll an und ich hatte Angst wieder eine Panikattacke zu bekommen. Ich weiß nicht ob Ablenkung der richtige Weg ist um damit fertig zu werden. Natürlich ist diese Zeit wunder, wunderschön, doch danach kommt alles wieder zurück.

Ich versuchte die Gedanken an den anstehenden Besuch zu verdrängen und ließ mit keine Pause beim Arbeiten. Wenn Ablenkung die letzten Tage funktioniert hat, wird es einen weiteren Tag auch funktionieren. Hoffentlich.

Ich bin quasi nach Hause gerannt, um mich sofort ans malen zu machen. Das ist nicht nur eine Ablenkung, sondern tut mir gut. Dabei werde ich ruhig, kann durch atmen.

„Allie? Alles in Ordnung? Der Pinsel hängt seit zwei Minuten in der Luft.“

„Äh was?“

Finn dreht mich zu sich um und mustert mich besorgt. Ich setze ein Lächeln auf, aber das macht es nicht besser.

„Was ist los?“

„Nichts“

„Allie“, meint er warndend, „ich merke das etwas nicht stimmt. Also was ist es?“

Ich fahre mir mit den Händen über meine müden Augen. „Ich muss bald wieder Mum besuchen und diese Besuche stressen mich immer ziemlich.“

„Dann lass es einmal ausfallen.“

„Das geht nicht.“

„Warum nicht?“

So ... super. Ich kann ihm wohl schlecht sagen, dass 'besuchen' in Wirklichkeit putzen, einkaufen und Mums Puls kontrollieren beinhaltet. Aber ich werde auch nicht wieder lügen ... also sage ich gar nichts.

Seufzend steht er auf und kniet sich vor mich hin.

Aber er kann mich nicht erweichen. Ich habe ihm letztens schon zu viel verraten. Wenn er meine Welt kennen würde – wirklich kennen – dann würde er rückwärts aus meinem Leben stolpern.

Wieder seufzend steht er auf und küsst meine Stirn. Er hat aufgegeben.

„Ich ruf uns Pizza.“ Er geht in die Küche und ich fühle mich mies. Ich dachte er würde mich bitten, drängen es zu erzählen, aber ich bin heilfroh das er es nicht getan hat. Ich kann das jetzt gerade nicht. Ich bin einfach froh, wenn ich es noch ein zwei Tage schieben kann und nicht daran denken muss. Das das aber keine Lösung ist, ist mir auch klar ... irgendwo in den Tiefen meines Unterbewusstseins, mit dem ich mich nicht weiter befassen werde.

Ich male weiter. Finn kommt wieder und setzt sich schweigend. Die Stimmung ist gedrückt.

„Du musst mir irgendwann alles sagen. Das geht so nicht mehr lange weiter. Du wirst deshalb krank.“ Er seufzt und fügt versöhnlich hinzu: „Aber ich kann dich auch verstehen. Weglaufen scheint einfacher zu sein. Und von mir aus bin ich gern deine Laufbahn auf der du fliehen kannst, aber ich hoffe dir ist klar das Laufbahn immer kreisförmig sind.“

„Seit wann sprichst du so poetisch?“

Finn lacht auf und dadurch löst sich ein großer Teil meiner Anspannung. Ich habe den Abend nicht komplett ruiniert. Vielleicht können wir das Thema einfach beiseite wischen.

„Ich werde immer besser in diesen Dingen.“

„Ja das stimmt.“

Er rutscht zu mir und ich lege meinen Kopf auf seine Schultern. „Es tut mir leid, Finn. Gib mir noch ein wenig Zeit. Dann... dann vielleicht.“

„In Ordnung.“

Er reicht mir den Pinsel und ich nehme ihn lächelnd entgegen. Ein Friedensangebot das ich gerne annehme.

Ich reiche ihm auch einen. „Du kannst die großen Flächen hier ausmalen. Schön gleichmäßig und dick, ok?“

Finn sieht mich ein wenig überfordert an, aber ich drücke seine Hand mit dem Pinsel zur Leinwand, bis er den ersten Punkt gemalt hat.

Finn erzählt mir vom Training während wir nebeneinander malen. Er bringt mich zum lachen und ich bin so wahnsinnig froh, dass Finn so ist wie er ist und das er mich zumindest im Moment noch verdrängen lässt.

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