Kapitel 30 - A L L I E

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Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mich die Geschehnisse gestern nicht mitgenommen hätten. Ich habe schlecht geschlafen und wachte mit Mums Gebrüll im Ohr auf. Den ganzen Tag schon versuche ich es abzuschütteln, aber gleichzeitig spiele ich die Szenen immer wieder in meinem Kopf ab. 

Es ist ein Teufelskreis, aus dem ich nicht entkomme und ich habe Angst, dass ich das gar nicht will. Denn mal ehrlich, ich war noch nie gut darin Dinge loszulassen. So bin ich eben.

Ich habe mich heute bei der Arbeit krankgemeldet. Sozialer Kontakt mit anderen Menschen ist heute keine gute Idee für mich. Deswegen bin ich ganz froh darüber allein zu sein, keine Störung und Stille.

Mit der ist es eine halbe Stunde später allerdings vorbei. Es klingelt an der Tür und ich öffne Finn mit gemischten Gefühlen. Er ist vielleicht der einzige Mensch, den ich gerade ertrage, aber auch er fällt unter sozialem Kontakt, den ich heute meiden sollte.

Finn lehnt sich mit verschränkten Armen mit einer Schulter an die Tür. Er scannt mich von oben bis unten und seine Mimik ist ernst. Ich habe ihn noch nie so gesehen. Er hat immer ein Lächeln auf dem Gesicht, oder zumindest den Anflug eines Grinsens. Und obwohl ich das liebe, bin ich hiervon seltsam fasziniert. Die Kanten kommen mehr zu Geltung, genauso wie seine dunklen, intensiven Augen und seine Wangenkochen.

Er würde ein gutes Fotomotiv abgeben. Warum ist mir der Gedanke nicht schon eher gekommen? Ich frage mich nur, ob er als Footballspieler schon Erfahrung mit modeln hat. Das könnte gut sein.

„Kann ich reinkommen?“

Nickend öffne ich die Tür weiter und lasse ihn ein. Er hat Essen dabei und stellt es auf den Tisch. Ich rechne es ihm hoch an, dass er es auf keines meiner geliebten Notizbücher legt. Das wäre Selbstmord gewesen.

Ich räume sie schnell auf, wobei die Hälfte auf den Boden fällt. Genervt sehe ich an die Decke und stöhne. Newton hätte ein viertes Gesetz aufstellen können. Wenn der Tag schon beschissen anfängt, zieht sich das durch. Eine Spirale aus Pech, die nur die Freude durchbrechen kann, die ich einfach nicht aufbringen kann.

Finn kommt sofort zur Hilfe, hört aber mittendrin auf. Als ich mich wieder aufrichte, sehe ich auch warum. Er hält die Broschüre, die mir Hans gestern noch gegeben hat, in der Hand. Aufmerksam studiert er meine Reaktion, aber ich bleibe unbewegt.

Die Stille wird langsam ungemütlich. Das ist das erste Mal, dass ich das mit Finn erlebe und ich hasse es jetzt schon.

„Ich habe davon gehört, Allie.“

Mit dem Rücken zu ihm schließe ich die Augen. Scheiße...

Ich drehe mich um, sauge meine Lippen ein und hebe nur kurz eine Augenbraue. Ich sollte nicht so arrogant und defensiv reagieren. Theoretisch weiß ich das, aber es ist nunmal die erste Reaktion, wenn etwas mit Mum zu tun hat.

„Wolltest du es mir erzählen?“

„Keine Ahnung“

Jetzt ist es an Finn die Augenbrauen skeptisch zu heben. „Ach ja? Dann haben die letzten Wochen – nein Monate – nichts geändert? Ich bin immer noch nicht gut genug? Super für eine Ablenkung, aber für mehr nicht?“

„Finn“, beschwere ich mich. Er weiß, dass das nicht die Wahrheit ist. Ich kann verstehen, dass er wütend ist und vielleicht auch verletzt, aber deswegen muss er daraus nicht mehr machen als es ist.

„War das alles nur ein Versuch deinerseits? Mal sehen was daraus wird, während ich...“, bricht er ab und sieht zur Seite.

Er runzelt die Stirn und gräbt seine Finger in verspannten Muskeln in seinem Nacken.

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