Kapitel 42 - A L L I E

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Die letzten Tage waren schön und schwer zugleich. Sich von Dad zu verabschieden war komisch. Kurzzeitig habe ich es immer wieder vergessen. Wir haben gelacht und gescherzt. Finn war auch oft da und saß neben mir. Wir sahen fern, aber vor allem haben wir geredet.

Heute Morgen dann kam der Anruf vom Krankenhaus. Dad ist um fünf Uhr früh gegangen. Friedlich und sanft, so wie er es verdient hat.

Es ist seltsam, wie sehr einen diese Nachricht trifft, obwohl man sie erwartet. Finn kam verschlafen ins Wohnzimmer und nahm mich gleich in die Arme, sobald er registrierte worum es geht.

Dann sind wir zu diesen Ort gefahren. Ohne viele Worte hat er mich ins Auto gesetzt und ist losgefahren. Und jetzt sind wir hier.

Wir laufen den Weg entlang zwischen den Bäumen des Parks. Unter Finns Arm klemmt eine Decke und er hat sogar Frühstück dabei. Er dreht sich immer wieder zu mir um und lächelt mir zu. So also wolle er sichergehen, dass ich immer hinter ihm bin.

„Es ist nicht mehr weit.“

„Wohin?“

Er zwinkert mir zu und zieht mich zu sich. Durch die Bäume hindurch sehe ich ein Blumenbeet. Die verschiedensten Dahlien blühen und verwandeln den Hügel zu einem Regenbogen. Ich lächle schwach. Es sieht wunderschön aus.

Finn breitet währenddessen die Decke aus und ich setze mich zu ihm.

„Dein Dad hat mich gebeten dich in einen Park zu bringen, wenn du die Nachricht bekommst. Er meinte, dass du dann weniger traurig bist. Die Natur würde dich trösten“, flüstert er sanft.

Lachend schluchze ich auf und lehne mich an Finns Seite. „Das hat er mir schon früher gesagt. Wenn ich jemals traurig sein sollte, muss ich nur in die Natur hinaus. Sie ist immer da und besitzt die Kraft zu heilen.“

„Schöne Worte“, murmelt Finn und legt seinen Arm um mich.

Ich murmle ein ja und betrachte die Pflanzen um mich herum. Alles ist still und friedlich. Ich weiß, warum Dad wollte, dass ich hier her komme. Er schenkt mir einen Platz, an den ich gehen kann, um ihm nah zu sein. Einen Ort der mich tröstet und mir die Traurigkeit nehmen soll.

„Woran denkst du?“

„Hat Dad dir noch etwas gesagt?“, frage ich ihn und sehe zu ihm auf.

Eine leichte Traurigkeit liegt auch in seinen Augen als er mich ansieht. „Er wollte, dass ich dich so oft wie möglich aus dem Haus bringe, damit du Spaß hast und auf andere Gedanken kommst.“

„Dann wäre der Tanzkurs vielleicht doch keine so schlechte Idee – zumindest wenn du frei hast.“

Seine Augen leuchten auf als ich darauf eingehe. Vor Finn hätte ich mich vergraben und mich zurück gezogen, aber das bin nicht mehr ich. Ich werde mich nicht mehr ducken. Ich bin stärker als das und ich habe das Recht auf Glück genauso wie jeder andere auch. Ich werde weiter machen und das Leben leben, dass ich mir schon immer gewünscht habe und mit Finn an meiner Seite ist das seltsam einfach.

„Hunger?“

Ich lehne Finns Brezel ab und betrachte weiterhin den Regenbogen aus Blumen. Zeit spielt in diesem Augenblick keine Rolle. Sie geht weiter und das wird sie immer, egal was passiert. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich diese letzten Tage mit Dad hatte. Das macht es erträglicher. Ich bereue nichts und kann mit meinen guten Erinnerungen an ihn weiter leben. Er wird immer irgendwie präsent sein. Es wird sicherlich schwerere und leichtere Tage geben, aber das werde ich schaffen. Und wenn nicht, dann habe ich immer einen Ort und eine Person, zu der ich gehen kann.

Ich seufze und sehe nach oben. Der Himmel ist voller Wolken, doch trotzdem scheint die Sonne zwischen ihnen hindurch. Ich nehme es als ein gutes Zeichen für die Zukunft.

„Als ich fünf war...“, beginne ich und erzähle Finn einige meiner schönsten Erinnerungen an meine Zeit mit Dad. Es tut gut und führt mir das Glück vor Augen, dass ich in meinem Leben hatte. Egal wie schwierig die letzten Monate auch gewesen sein mögen, sie haben mich nur stärker gemacht. Vielleicht sollte ich sogar dankbar sein, denn sie haben mich genau hier her geführt, zu dem Menschen, den ich niemals wieder gehen lassen will.

Er hört mir zu und lächelt ab und an. Er scherzt, bringt mich zum Lachen und ich weiß mit Sicherheit, dass er jede Situation erträglich machen könnte. Und sollte er jemals in solche eine Situation kommen hinein geraten, werde ich auch für ihn da sein. Immer.

Als die Sonne über die Bäume steigt, gehen wir und holen uns nicht weit entfernt etwas zu essen. Finn erzählt mir von seiner Kindheit. Wie sehr ihn der Football immer begleitet hat und ab welchem Moment ihm klar wurde, dass er das den Rest seines Lebens machen will.

Danach schlendern wir noch eine Weile durch die andere Hälfte des Parks und schweigen. Ich hänge meinen Gedanken nach, doch sie sind nicht so traurig wie erwartet. Heute ist ganz offensichtlich einer der guten Tage. Natürlich vermisse ich ihn schrecklich, aber wenn ich zurück denke, dann ist er da. Und das wird er auch immer sein.

Erst als es dunkel wird, gehen wir wieder nach Hause. Auf der Fahrt singt Finn die Lieder aus dem Radio so schief mit wie er nur kann, um mich aufzuheitern und mich lachen zu sehen.

Ich stimme mit ein, auch wenn meine Stimme ab und zu bricht, wenn doch Traurigkeit hoch kommt. Uns beide stört es nicht. Wir machen weiter und singen nur umso leidenschaftlicher als uns Leute an einer roten Ampel komisch ansehen. Danach gibt Finn aber Gas und wir lassen sie weit hinter uns.

Die ersten Sterne werden am Himmel sichtbar als wir ankommen und nach oben gehen.

Finn wirft mir einen Blick zu, als er das Licht anmacht und ich gehe zu ihm.

„Wie geht es dir?“, fragt er heute das erste Mal. Ich bin ihm dankbar, dass er sie nicht schon früher gestellt hat, denn erst jetzt kann ich ihm darauf eine Antwort geben.

„Es ist in Ordnung“, beruhige ich ihn. „Das Leben geht weiter. Und wenn es dir recht ist, dann würde ich es gern mit dir verbringen.“

Ein Leuchten tritt in seine Augen und er beugt sich zu mir hinunter, damit er mich sanft küssen kann. „Nichts würde mich glücklicher machen.“

~
Seit ihr schon bereit für den Epilog?

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