Kapitel 29 - A L L I E

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Ich bin auf dem Weg zu Mum. Diesmal war die Pause zwischen meinen Besuchen länger, aber ich war auch beschäftigt. Zum ersten Mal habe ich kein schlechtes Gewissen deswegen. Ich habe auch ein Leben und ich war glücklich.

Die Einkaufstüten schneiden mir in die Hände, aber es ist zum Glück nicht mehr weit. Wie immer brauche ich noch nicht einmal einen Schlüssel. Die Tür geht einfach so auf, wenn man ein wenig dagegen drückt. Hans, ein netter Obdachloser aus der Gegend, schläft im Treppenhaus. Ich bin ganz leise, um ihn nicht aufzuwecken und gehe nach oben. Die Treppen knirschen, aber er schläft weiter.

Mums Haustür steht einmal nicht auf und darüber bin ich ganz beruhigt. Das ändert sich allerdings, als ich die Tür aufmache und mir nur Rauch entgegen kommt. Ich wende mich hustend ab.

„Mum?“

Keine Antwort kommt. Das ist nichts Ungewöhnliches, doch diesmal bin ich deswegen besorgt.

Hustend taste ich mich zum Fenster vor und öffne es mit Gewalt. Frische Luft strömt ins Zimmer und ich atme sie gierig ein.

Meine Jacke als Maske verwendend, suche ich nach Mum. Weder in der Küche, noch im Wohnzimmer ist sie. Schlussendlich finde ich sie im Schlafzimmer neben ihrem Freund.

Ich checke ihren Puls und mache mich dann daran die Einkäufe gut sichtbar auf die Arbeitsfläche zu legen, die sicher nie als solche benutzt wird.

Ehrlicherweise habe ich überhaupt keine Lust jetzt auch noch zu putzen. Mum weiß es sowieso nicht zu schätzen. Es reicht sicher noch nächste Woche.

Ein schlurfendes Geräusch lässt mich herum fahren. Es ist leider nicht Mum, sondern ihr Freund. Er ist verschlafen, sieht aber trotzdem noch furchteinflößend genug aus, allein schon, weil er zwei Köpfe größer ist als ich.

Er gähnt und scheint mich nicht zu bemerken. Ich drücke mich an die Wand und bete, dass das so bleibt. Die Cornflakes verschwinden unter seinem Arm und die Saftflasche nimmt er gleich auch mit.

Bevor er sich umdreht, sagt er: „Du warst seit einer Weile nicht mehr hier. Bist dir wohl zu gut dafür.“

„Ich musste arbeiten“, antworte ich rau und leise.

„Natürlich. Wenn du das wirklich tun würdest, könntest du uns mehr geben, als dieses Drecksloch.“

Ich habe vor langer Zeit gelernt ihm bei Diskussionen nicht zu widersprechen, deswegen bleibe ich einfach stumm. Tief in mir wusste ich, dass sie so denken, doch es tut trotzdem weh es zu hören.

„Ach ja und das Bad muss mal wieder geputzt werden.“

Er geht wieder und ich mache mir nicht die Mühe das zu tun, was er will. Ich will einfach nur hier raus und wieder frische Luft einatmen. Mir reicht es schon wieder. Die Zeit, die ich hier aushalte, wird immer kleiner.

Ich gehe leise zur Tür und flitze hindurch, damit sie mich erst hören, wenn ich schon weg bin.

Seufzend gehe ich die Treppe hinunter und achte nicht auf meine Umgebung. Ein schwerer Fehler, denn ich erschrecke mich so sehr, als mich jemand an den Schultern packt, dass ich aufschreie.

„Hab ich dir nicht gesagt, dass du das Bad noch putzen sollst? Und wo bleibt das Geld für diese Woche?“

Ich sehe in seine verkniffenen, kleinen, roten Augen und spanne alle meine Muskeln an. Nur wird das nichts nützen. Gegen ihn habe ich keine Chance. Seine sonstiges Desinteresse an allem ist Aggresivität gewichen.

„Lassen sie sie los!“, ruft Hans und kommt langsam die Treppe nach oben. Es ist süß, dass er mir helfen will, nur kann er genauso wenig gegen Mums Freund ausrichten wie ich.

Der sieht das wohl ebenso und lacht lauthals. Doch das vergeht ihm wieder, als hinter Hans die Polizei ins Treppenhaus kommt.

„Lassen sie die Frau los!“, befiehlt einer und nachdem er nochmal schmerzhaft fest zudrückt, stößt er mich weg. Ich pralle an die Wand und sofort kommt Hans auf mich zu.

Er kniet sich neben mich und lächelt. Aus seinem fleckigen, abgetragenen Mantel zieht er eine Dienstmarke heraus. „Ich bin Polizist. Es tut mir leid, dass wir erst jetzt eingreifen können, doch uns fehlte die Beweisgrundlage, um diesen Mann festnehmen zu können.“

Mit großen Augen sehe ich Hans an und höre von weitem, wie ein weiterer Polizist Mums Freund Drogenhandel und -schmuggel beschuldigt. Dann wird er abgeführt. Mum stürzt aus der Tür und versucht die Situation zu begreifen.

Ihre roten Augen bleiben an mir hängen und sie stürzt sich auf mich. Ein Polizist fängt sie ab, aber sie lässt nicht locker.

„DU! Du hast sie gerufen. Wie konntest du nur?“

Ihr Gekrächze geht weiter, doch Hans zieht mich sanft auf die Beine und führt mich nach draußen. Er murmelt irgentwelche Nichtigkeiten, damit ich Mum nicht zuhöre.

„Setzen sie sich erstmal.“, meint er abwesend als wir aus dem Treppenhaus raus sind.

Aus allen Häusern wird neugierig aus dem Fenster geschaut und vor dem Haus haben sich schon eine Menge Leute versammelt.

„Alles in Ordnung?“

„Ähm... Weiß nicht.“

„Verständlich“, murmelt Hans und setzt sich neben mich. „Wissen sie, ob ihre Mutter im Drogenhandel verwickelt war?“

„Nein, keine Ahnung. Es tut mir leid.“

„Das muss es nicht. Ich habe sie gesehen. Jede Woche kommen sie her und bleiben für knapp zwei Stunden. Warum heute nicht?“

„Ich habe es da drin nicht mehr ausgehalten und Mums Freund war wach, also bin ich so schnell wieder gegangen wie es ging.“

„Wurde er einmal gewalttätig?“

Ich nicke nur. „Ist aber schon eine Weile her.“

„Und ihre Mutter?“

Ich schüttle den Kopf.

„In Ordnung. Wir benötigen in den nächsten Tagen ihre Aussage. Wenn sie sich dazu imstande fühlen, können sie auch gleich mit kommen.“

Ich nicke. Am besten bringe ich es schnell hinter mich.

„Werde ich auch verdächtigt?“

„Nein. Ich habe gesehen, dass sie nur die Einkäufe gebracht haben und putzten. In den Tüten war nichts weiter versteckt als Lebensmittel. Gegen sie liegt keine Anklage vor. Allerdings rate ich ihnen professionelle Hilfe anzunehmen.“

Ich sehe auf und ziehe eine Augenbraue nach oben.

„Nicht für sie, sondern für ihre Mum.“

„Wenn ich das Geld hätte, wäre sie schon längst in einem solchen Programm.“

„Es gibt auch einige, welche der Staat unterstützt, wenn sie Geldsorgen haben. Ich kann ihnen auf der Wache ein paar Broschüren mitgeben.“

„Das wäre sehr nett. Danke“, murmle ich.

Bevor Mum und ihr Freund nach draußen treten, sind Hans und ich schon auf dem Weg zur Polizeiwache. Auch dafür bin ich dankbar. Ich möchte den beiden nicht mehr begegnen, vor allem wenn sie glauben ich hätte die Polizei gerufen.

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