Kapitel 41 - A L L I E

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Ich weiß nicht wie wir zum Krankenhaus gekommen sind. Das einzige, was ich wirklich registriere, ist Finn, der bei jedem Schritt neben mir ist. Er fährt und stützt mich quasi auf dem Weg zu Dad. Ich umklammere seine Hand so fest, dass es sicherlich nicht mehr angenehm für ihn ist.

Vor der Tür hält mich Finn zurück und sieht mir in die Augen bevor er mich fest in seine Arme zieht. Ich klammere mich an ihn. Ich will zu Dad, aber ein Teil von mir hat Angst. Kann man denn überhaupt die richtigen Abschiedsworte finden?

„Ich bin hier, wenn du mich brauchst“, flüstert Finn und lässt mich los. Ich nicke und drehe mich dann zur Tür. Tief durchatmend gehe ich hinein.

Dad bemerkt mich zuerst nicht. Leise nähere ich mich ihm und sehe erst jetzt wie schwach er ist. Seine Augen sind geschlossen und das Atmen fällt ihm schwer. Als ich mir einen Stuhl heran schiebe, registriere ich, dass das andere Bett leer ist.

Dad öffnet die Augen ein wenig und ein angestrengtes Lächeln erhellt sein Gesicht. Ich unterdrücke die Tränen und zwinge mich auch zu lächeln.

„Hallo mein Schatz.“

„Hi Dad.“

Er will sich aufsetzen, stark für mich sein, aber ich drücke ihn sanft, aber bestimmt wieder zurück. Seufzend legt er sich wieder hin und sieht mich an.

„Es tut mir leid.“

Ich schüttle den Kopf. „Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest.“

„Doch.“ Er stockt und holt tief Luft. „Ich hätte es dir doch vorher sagen sollen. Ich dachte nur mir bliebe mehr Zeit. Ich wollte dich damit nicht auch noch belasten. Die Sache mit deiner Mum musstest du schon ganz allein regeln.“ Wieder muss er eine Pause machen. „Es gibt so vieles was mir leidtut.“

„Nein, Dad! Es ist alles gut.“

Er schüttelt energisch den Kopf. „Dich trifft das alles aus heiterem Himmel. Niemand hat dich vorgewarnt.“

Ich schüttle den Kopf und unterbreche ihn. „Ich wäre nur länger traurig gewesen. Es ist in Ordnung so.“

„Du weißt gar nicht wie froh ich darüber bin.“ Erleichtert, aber gleichzeitig erschöpft schließt er die Augen. Sein Lächeln ist eine Spur leichter.

Ich greife nach seiner Hand und lege meinen Kopf auf seinen Bauch, so wie ich es als kleines Mädchen immer gemacht habe. Seine Finger streifen durch mein Haar und er summt abgehackt mein Schlaflied von damals.

Mir steigen die Tränen in die Augen und mein Hals zieht sich zusammen. Ich liebe dieses Lied. Es wird mich immer an ihn und unsere schönsten Augenblicke erinnern. Ich gehe sie im Kopf durch, aber ihnen allen haftet jetzt eine gewisse Traurigkeit an.

Es tut weh, dass ich ihn letzter Zeit nicht so oft besucht habe wie sonst. Ich war viel bei Finn, aber ich verbiete mir das zu bereuen. Aber es belastet mich und drückt als schweres Päckchen auf meine Brust.

„Dad?“

„Hmm?“

„Es tut mir leid, dass ich nicht so oft da war“, schluchze ich auf.

Beruhigend streicht er mir weiter übers Haar und murmelt Beschwichtigungen.

„Ich war nicht da.“

„Du warst immer für mich da, Schatz. Immer! Wirf dir das nicht vor! Du hast dein eigenes Leben gelebt. So soll es auch sein. Ich bin mehr als dankbar dafür und auch für Finn. Es ist tröstlich zu wissen, dass du jemanden hast, wenn ich nicht mehr da bin.“

Bei seinen Worten zieht sich alles in mir zusammen. Das darf doch nicht sein. Nicht jetzt schon. Ich brauche ihn doch noch.

„Außerdem hatte auch ich nicht so viel Zeit. Ich habe nämlich auch jemanden kennengelernt.“

Ich lache auf. Für eine Sekunde bin ich froh.

„Warum lachst du? Nur weil ich hier drin bin, heißt das noch lange nicht, dass ich keine wilde Romanze haben kann.“

Wieder lache ich auf. Das tut gut. „Wie heißt sie?“

„Marianne. Sie war auch in der Chemo und stand bei jedem Schritt an meiner Seite, genauso wie du. Wir lagen dort zusammen und kamen immer wieder ins Gespräch. Tja und so ging das weiter.“

„Du hast recht, Dad. Wirklich eine wilde Romanze.“

Auch er lacht. „Sie war sehr temperamentvoll und hatte einen tollen Sinn für Humor. Sie konnte aus jeder Situation etwas Gutes ziehen. Solch eine Eigenschaft ist wundervoll“, schwärmt er und lächelt bei dem Gedanken an sie ganz automatisch.

„Liegt sie auch in diesem Stock?“

„Sie ist vor zwei Tagen gestorben“, flüstert Dad und sieht mich traurig lächelnd an.

Ich drücke seine Hand fest und wieder steigen mir Tränen in die Augen.

„Ich weiß nicht warum, aber es ist wahnsinnig tröstlich zu wissen, dass sie dort drüben auf mich wartet und ich nicht allein sein werde.“

„Ja. Das ist es“, flüstere ich.

„Ich habe keine Angst, Schatz. Solange ich weiß, dass es dir gut geht.“

„Ich bin glücklich“, flüstere ich. Es stimmt. Seit langem bin ich wieder vollkommen zufrieden mit meinem Leben. Es ist perfekt so wie es ist. Es ist die Wahrheit, wenn ich sage, dass ich glücklich bin, auch wenn das hier gerade sehr schwer ist.

„Das ist gut“, haucht Dad. Nach einer Pause redet er weiter. „Ich habe vor fünf Jahren eine Lebensversicherung abgeschlossen. Ich habe in meinem Testament angegeben, dass du das Geld bekommen sollst. Du bist fürs Erste also abgesichert.“

„Mum hat den Platz in der Klinik. Er ist noch nicht einmal übermäßig teuer. Ein netter Polizist hat mir geholfen eine passende zu finden“, beruhige ich ihn.

Tiefe Erleichterung höre ich aus seinem Seufzen heraus. „Das ist gut“, flüstert er wieder.

„Da gibt es noch eine Sache, die ich klären muss.“

Aufmerksam hebe ich den Kopf, um ihn ansehen zu können. „Und das wäre?“

„Bitte sieh mir nicht beim Sterben zu. Sei glücklich. Trauere nicht zu lange, Schatz. Ich bin trotzdem immer für dich da.“

„Ich weiß, Dad. Aber ich kann doch nicht einfach kochen, oder bügeln, oder was weiß ich, während du st... Ich will hier sein.“

„Nein“, sagt er bestimmt und streicht über meine Hand. „Ich möchte es so. Ich habe noch ein paar Tage, aber ich will, dass du nicht hier bist, wenn es tatsächlich so weit ist. Wir können uns jeden Tag sehen.“

„In Ordnung“, verspreche ich.

„Danke!“

„Ich liebe dich, Dad.“

„Ich liebe dich auch mein Schatz.“

Quarterbackgirl Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt