-𝕋𝕨𝕖𝕟𝕥𝕪 𝔽𝕠𝕦𝕣-

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Tristan und ich drehen uns synchron um und blicken in Clayton Cavendishs Gesicht.

Clayton ist im Football-Team und außerdem der kleine Bruder von Rachel, unserer Schülersprecherin. Aber im Gegensatz zu ihrem Charakter aus Gold - nicht wörtlich genommen - hat er eine arrogante nahezu selbstverliebte Art, die viele Menschen nicht verstehen. Dabei haben sie sie selbst, zwar nicht so ausgeprägt, aber trotzdem vorhanden.

Sie können es leugnen so viel sie wollen, aber Ich-Bezogenheit ist wie eine Erbkrankheit - nur, dass jeder sie hat und das seit man geboren ist.

Clayton ist in der elften genau wie Zach und auch von ihm habe ich gehört, dass Clayton 'absolut und unwiderruflich ein arrogantes Arschloch' sei. Natürlich verwende ich hierbei den Konjunktiv; Kraftausdrücke sind mir ein für alle Mal zuwider, weshalb das auch nicht meine Worte sind.

"Was willst du, Clayton?" Ich muss fast lachen. Es ist mehr als einen Monat her, aber genau diesen Satz - ausgenommen der Name - habe ich zu Tristan gesagt, bevor das mit uns passiert ist.

"Darf ich meinen Mannschaftskollegen nicht begrüßen? Wo kämen wir denn hin, wenn niemand mehr mit jemand anderen reden würde? In was für einer Gesellschaft würden wir dann leben?" Etwas in seinen Augen verrät mir, dass das nicht das war, was er hatte sagen wollen, auch wenn ich nicht gut darin bin, Mimik, Gestik und Artikulation des menschlichen Erdbewohners zu entschlüsseln - alles irgendwie viel zu kompliziert, weil nie jemand das tut oder sagt, was er wirklich denkt.

Ich sehe zu Tristan hoch, er sieht zu mir. Keine Ahnung, aber ich glaube, wir denken das selbe. Zumindest einen Bruchteil davon.

"Und jetzt bitte die Wahrheit ohne stundenlange Fragerunden über das Leben und die Gesellschaft, ich kann gerade nicht über unseren Sinn philosophieren." Wahrscheinlich hätte er genervt die Augen verdreht, aber seine Erziehung verbietet ihm das.

"Eigentlich wollte ich nur hallo sagen, aber da du so tust, als wolle ich ein Mordanschlag auf dich verüben, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als der Tatsache nachzugeben, dass ich hier schlichtweg nicht erwünscht bin." Hätte er sich dramatisch das Herz gehalten, wäre das ganze sogar noch ein wenig beeindruckender gewesen.

Tristan lässt sich aber nicht täuschen und schnaubt kurz in Claytons Richtung.

"Hörst du dir eigentlich gern selbst zu, oder glaubst du das, was du da von dir gibst, wirklich? Sag doch einfach, was du sagen musst, damit es dir besser geht und verschwinde dann."

Clayton nickt grinsend und weist dann auf mich. "Ich finde es nur interessant, mit wem du dich so abgibst. Hast also ein neues Betthäschen gefunden, ja? Was ist denn aus ... wie hieß er? Noel? Nolan? Oh, nein, ich weiß, Noah! Was ist denn aus Noah geworden? Lass mich raten: Du hattest deinen Spaß und hast ihn dann, wie alle anderen vor ihm auch, vor die Tür gesetzt, habe ich Recht?"

Tristan schweigt.

"Natürlich habe ich Recht." Clayton lächelt selbstgefällig und mustert mich ganz langsam und provokant von oben nach unten. Am liebsten hätte ich mit meinen Händen alles bedeckt, was er angesehen hat und irgendwie fühle ich mich schmutziger als bei Julia.

Tristan stößt etwas aus, was fast wie ein Knurren klingt und Clayton fängt schallend an zu lachen.

"Verschwinde!" Dieses einzelne Wort presst Tristan mit so viel Nachdruck zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, dass selbst ich innerlich zusammenzucke.

"Bin schon weg." Gespielt ergeben hält er seine Hände hoch und geht lachend in der Menge unter.

Ich habe noch nie erlebt, dass irgendjemand Tristan so sehr provoziert hat. Sonst ist er immer der lächelnde junge Mann, dem keiner seine gute Laune nehmen kann.

Nobody | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt