Letztendlich haben Tristan und ich es irgendwie geschafft, Marco die alleinige Schuld in die Schuhe zu schieben - mein Anwalt ist mit mir durchgegangen -, was uns unheimlich viele Umarmungen von Kathy eingebracht hat.
Zach dagegen hat die ganze Zeit vor sich hin gemurmelt, Marco hätte ihn nicht provozieren sollen.
Womit genau er ihn provoziert hat, habe ich noch nicht aus Zach herausbekommen, aber ich werde es schon noch erfahren.
Nach der Schule sind wir alle zu Kathy nach Hause gegangen; Zach ist etwa zwei Meter hinter uns her getrottet, wahrscheinlich, weil er mit keinem von uns reden will.
In Kathy's Zimmer angekommen, schmeißt Tristan sich auf ihr Bett und mir stellt sich die Frage, ob er schon öfter hier war. Wie sonst sollte er innerhalb weniger Sekunden einen Durchblick im Chaos von Kathy's Zimmer haben?
Das ist quasi unmöglich wenn man die Penibilität bedenkt, mit der Kathy ihr Zimmer verwüstet.
Wenn man sich jedoch bereits auskennt, so wie ich - und Tristan anscheinend auch -, ist es kein Problem, durchzusehen, was wo ist.
"Ich kann nicht glauben, dass ihr ihn da rausgeholt habt. Vielen Dank, Jungs", frohlockt sie schon zum zweiunddreißigsten Mal. Nicht, dass ich zählen würde. Wer kommt denn auf die Idee?
"Klar", erwidere ich schlicht, während Tristan kichert.
"Wer hilft deinem Bruder denn sonst, wenn nicht Carter oder ich."
"Wenn du dir dann noch bitte selbst auf die Schulter klopfen würdest." Ich zücke mein Handy. "Dann kann ich den kleinen Kindern besser erklären, was genau Eigenlob ist", füge ich hinzu, als Tristan schon beginnen will, für die Kamera zu posen.
Kathy lacht. "Hast du gerade einen Witz gemacht, Carter?"
Ich schüttele den Kopf. "Nein. Da musst du dich verhört haben, Kathylein."
Sie sieht mich böse an, während diesmal Tristan derjenige ist, der lachen muss.
Doch als ich durch seine Haare wuschele, sieht er mich böse an und steht auf, sodass er ein paar Zentimeter größer ist, als ich.
"Habe ich schon mal erwähnt, dass ich Menschen hasse, die größer sind als ich?", frage ich an Tristan gewandt.
"Nö, aber gut zu wissen, dann kann ich den Jungs sagen, dass sie es geschafft haben, dich dazu zu bringen, sie zu hassen."
Ich verziehe mein Gesicht. "Footballspieler sind sowieso schrecklich. Wie oft hast du dir bisher die Nase gebrochen? Vier Mal?"
"Ungefähr, ja", erwidert er schulterzuckend, was mich nur gespielt aufgebracht die Arme hochwerfen lässt.
"Oh, klar, gehört für dich wahrscheinlich zum Alltag. Lass mich raten, das steht auf deiner To-do-Liste, direkt unter Meisterschaften gewinnen und mit Mädchen flirten."
Beim letzten Teil des Satzes zieht Tristan die Augenbrauen zusammen. "Die ersten beiden Dinge schon. Aber Mädchen sind viel zu kompliziert." Er macht eine Pause und sieht Kathy an. "Sorry Kaths, nichts gegen dich."
Stopp das mal bitte kurz. Hat er sich gerade geoutet?
"Also ... stehst du nicht auf Mädchen?" Irgendwie ist die Frage hoffnungsvoller als geplant über meine Lippen gekommen.
"Nope."
"Und auch nicht auf Frauen? Nicht, dass wir uns da falsch verstehen." Ich muss einfach nochmal auf Nummer sicher gehen.
"Ich glaube nicht, dass wir uns missverstehen, Carter." Hat er mir gerade zugezwinkert? Alle Teile meines Gehirns arbeiten auf Hochtouren, einordnen, was genau das Zwinkern bedeutet, kann ich aber trotzdem nicht.
"Das ist ... gut, oder?", frage ich unsicher und werfe hin und wieder unsichere Blicke Richtung Kathy, die sich aber nur über das Life-Kino einen ablacht. Nett.
"Für dich schon." Wieder dieses Zwinkern. Ich glaube, ich habe einen Kreislaufzusammenbruch.
"Aber für alle interessierten Mädchen nicht." Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Kathy einen Schmollmund zieht, während Tristan nur anfängt zu lachen.
"Ja, dich habe ich ja mehr als einmal abblitzen lassen." Warum genau hat Kathy mir das nicht erzählt?
"Gut, dass du dich dann irgendwann geoutet hast, sonst wäre ich dir noch Ewigkeiten hinterhergerannt."
Okay, jetzt mal wirklich: Warum wusste ich davon nichts?
Tristan steht immer noch vor mir, aber irgendwie kommt es mir so vor, als sei er näher an mich heran gekommen.
Wir sehen uns in die Augen und das Schweigen hält an. Ich muss ein wenig aufsehen, was meine Nackenmuskulatur ziemlich zu stören scheint, mir in dem Moment aber egal ist.
Nach fünfminütigem Schweigen unterbricht Kathy die Stille: "Okay, dass ist mir zu viel Gestarre. Wer will was essen?"
Als sie aus der Tür verschwindet, ohne auf unsere Reaktion zu warten, legt Tristan seinen Arm um meine Taille und ohne etwas zu sagen, gehen wir in die Küche.
Das Haus, das Kathy's Familie bewohnt, ist von außen nahezu winzig - ein Bungalow, dessen Dachboden nicht ausgebaut ist - aber von innen ist es so groß wie ein Schloss.
Als Kinder haben Kathy und ich es immer das Hexenhaus genannt, weil es so viel größer von innen ist, als es von außen scheint.
Ist das nicht bei jedem Menschen genauso? Wir nehmen alle gar nicht wahr, was für Wunder sekündlich in unserem Körper passieren.
Manchmal komme ich mir vor, wie der Bürgermeister einer Stadt, die ich eigentlich gar nicht wirklich kenne. Das ist ein komisches Gefühl, so als würde ich von heute auf morgen in ein anderes Land ziehen und eine fremde Sprache erlernen müssen.
Viele Menschen nehmen das alles als Selbstverständlichkeit hin, aber was, wenn wir erst darüber nachdenken müssten, zu atmen? Dann würde unser Gehirn irgendwann nicht mehr funktionieren, wegen des Mangels an Sauerstoff. Schließlich müsste man in jeder einzelnen Sekunde darüber nachdenken, einen Atemzug zu tätigen und wer hat schon die Ausdauer dafür?
Außerdem würde dann niemand mehr schlafen können. Dann wären wir alle lebende Zombies, getrieben von Koffein und Schlaflosigkeit.
Wow, wie poetisch.
"Worüber denkst du nach?", flüstert Tristan in mein Ohr.
Ich zucke mit den Schultern. "Über das Wunder des Lebens wahrscheinlich."
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Nobody | ✓
Novela Juvenil-1. Teil der Social Distances Dilogie- -ABGESCHLOSSEN- Carter hat nicht nur mit seiner Intelligenz, sondern auch mit einem Wort, das andere Menschen Liebe nennen, zu kämpfen. Nur ist diese Liebe eben manchmal kein Wort, sondern ein Gefühl - und Gefü...