-𝕋𝕨𝕖𝕟𝕥𝕪 𝔽𝕚𝕧𝕖-

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Geschockt trete ich einen Schritt näher an ihn heran. Scheinbar endlos dauernde zwei Sekunden kann ich nichts anderes tun, als meine Augen weit aufgerissen auf ihn zu richten.

Danach kommt Tristan die Treppe herunter und bleibt neben mir stehen. "Carter, ich werde mich jetzt auf den Weg machen, ja? Meine Mutter hat mich gerade angerufen, Zarah ist im Krankenhaus, ihr geht es nicht gut." Die Worte flüstert er in mein Ohr, küsst mich, was ich natürlich erwidere und umarmt mich abschließend.

Benji schenkt er keinen zweiten Blick, sondern winkt ihm lediglich kurz zu, ehe er auch Maryse umarmt und eine Verabschiedung murmelt.

Da die beiden inzwischen beim Du angelangt sind, nennt er sie auch Maryse, statt immer Mrs Redwood zu sagen.

Ist sie eigentlich noch eine Mistress?

Wie dem auch sei, nachdem Tristan verschwunden ist, macht Maryse sich mit den Worten "Ich muss noch Kekse backen, kümmer du dich doch bitte um deinen Freund" auf den Weg zurück in die Küche, aus der sie vorher vermutlich gekommen ist.

Kurz sehen Benji und ich uns noch in die Augen, dann nehme ich ihn an der Hand und ziehe ihn nach oben in mein Bad.

Er setzt sich auf den Badewannenrand und wartet, bis ich alle Materialien zusammen gesucht habe, um ihn ordentlich zu verarzten.

Während ich Wasserstoffperoxid auf ein Wattestäbchen tropfe, hole ich Pflaster aus dem Spiegelschrank über dem Waschbecken.

Mit den Sachen komme ich auf ihn zu und knie mich vor ihm hin. Benji schließt in Erwartung des Schmerzes die Augen, als ich mit dem Wattestäbchen über einen Kratzer an seiner Stirn fahre und zischt leise auf. Seine Knöchel treten weiß hervor, so fest krallt er sich an der Badewanne fest.

Mit – für die Situation definitiv erforderlicher – nahezu ärztlicher Ruhe und Genauigkeit desinfiziere ich Wunde für Wunde und jedes Mal bekomme ich das gleiche, leise Aufzischen zu hören.

In einer Wunde befindet sich ein Glassplitter, den ich mit einer Pinzette entferne.

Als ich fertig bin, klopfe ich ihm sanft auf die Schulter und er öffnet vorsichtig blinzelnd die Augen.

"Die Wunden schäumen!", ruft er erstaunt aus, als er sich selbst im Spiegel betrachtet.

"Ja, das Wasserstoffperoxid desinfiziert die Wunden jetzt. Das Schäumen ist ein gutes Zeichen." Meine Stimme klingt ruhiger als ich mich momentan fühle, scheint aber Benji in gewissem Maße ein wenig zu besänftigen.

Er atmet zittrig ein und aus, während ich seine Pupillen prüfe. Eine Taschenlampe habe ich nicht, doch unnatürlich groß oder klein wirken sie nicht, das scheint mir ein gutes Zeichen zu sein.

"Soll ich dir ein Kühlakku für dein Auge besorgen?", frage ich vorsichtshalber nach und er nickt ein wenig benommen.

Ich laufe viel zu schnell die Treppe herunter, brechen tu ich mir aber nichts. Aus dem Gefrierfach in der Küche nehme ich mir ein Kühlakku und gehe gelangweilt, nahezu unbekümmert an Maryse vorbei.

"Wer ist der Junge?", fragt sie dann noch im letzten Moment, als ich schon wieder hoch zu Benji gehen will.

"Ein Freund von Kathy, Tristan und mir", erwidere ich schlicht und hoffe, dass sie sich damit zufrieden gibt.

Aber sie wäre ja keine Psychologin, wenn sie nicht auch während einer Ruhephase zu einem Gutachten meiner Gedanken kommen würde. Und eine schlechte Tante wäre sie noch dazu.

"Du magst ihn." Sie tippt sich nachdenklich ans Kinn, ich jedoch zucke nur mit den Schultern.

"Das haben Freunde so an sich. Man mag sie."

Nobody | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt