-𝕋𝕨𝕖𝕟𝕥𝕪 ℕ𝕚𝕟𝕖-

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Alles ist irgendwie krank.

Das ist das erste, was ich denke, als ich aufwache.

Völlig krank.

Wie in einen tristen Nebel gehüllt, schaffe ich es, den Vormittag zu überstehen; nur peripher bemerke ich überhaupt, dass etwas um mich herum passiert, etwas Großes, Unbeschreibliches.

In Chemie sitze ich allein; Tristan ist immer noch nicht da, aber das ist mir in diesem Moment lieber. Wahrscheinlich hätte ich ihm Dinge an den Kopf geworfen, die ich später bereut hätte, denn in diesem Fall stimmt das Sprichwort: Reden ist Silber und Schweigen ist Gold.

Danach habe ich Spanisch. Alle sprechen alles falsch aus und ich kriege innerlich Wutausbrüche. Aber zur Zeit bin ich sowieso viel zu leicht zu provozieren, also sind dumme Mitmenschen keine gute Vorraussetzung.

In der Mittagspause ignoriere ich jeden Versuch von Kathy, mit mir zu reden und verschwinde stattdessen vollends in meiner Gedankenwelt. Ich muss schließlich nicht sprechen, wenn ich nicht einmal weiß, ob ich die nötige Kraft dazu aufbringen kann.

In Sport machen wir den zwölf-Minuten-Lauf, bei dem man eine bestimmte Anzahl von Runden - sieben einhalb für eine eins - rennen muss und das eben innerhalb von zwölf Minuten.

Die Mädchen schauen gebannt dabei zu; sie unterbrechen ihre Hochsprungsübungen sogar für die Zeit, in der die erste Gruppe rennt. Dabei werden Dinge ausgetauscht, die sich allem Anschein nach auf die Körpertemperatur einzelner Jungen beziehen.

Ich dehne meine Beine und Arme kurz und stelle mich dann an die Startlinie. Wenn ich acht schaffe, bin ich zufrieden, neun wären besser. Soll meine Lunge ruhig kaputt gehen, wozu hat man zwei Lungenflügel?

Genau in dem Moment, als der Pfiff zum Start ertönt, beginnt der Regen vom Himmel zu fallen, als sei es seine letzte Aufgabe vor dem Weltuntergang. Irgendwie tragisch.

Ich dränge mich an den anderen vorbei, ohne sie auch nur im Ansatz zu berühren. Dabei mache ich mich ein wenig kleiner, bis ich schließlich die ganze Truppe anführe und nach einiger Zeit sogar ein gewisser Abstand zwischen mir und den anderen entsteht.

Als noch eine Minute übrig ist, habe ich gerade meine achte Runde herum, weshalb ich zu einem ungeplanten Sprint ansetze, den ich die letzten ungefähr dreihundert Meter vollführe.

Noch während Mister Doyle dabei ist, die Pfeife an den Mund zu führen, überquere ich die Start- und Ziellinie. Neun Runden.

Ein wahnsinniges Hochgefühl überkommt mich als der Pfiff endlich ertönt. Ich hätte schweratmend auf dem nassen Rasen zusammenbrechen können, hätte jubelnd und triumphierend zu den anderen Jungen oder den Mädchen herüberschauen können, aber genau in diesem Moment ist mir einfach nur danach, stillschweigend von der Tartanbahn zu verschwinden und aus meiner Flasche einen großen Schluck zu trinken.

"Hey, Carter." Mister Doyle steht hinter mir und ich stelle die Flasche wieder auf den Boden. Der Regen macht meine Haare ein wenig nass, aber der Großteil der Tropfen prallt ab.

"Wie kann ich Ihnen helfen, Mister Doyle?", frage ich höflich und entscheide mich dann doch dazu, einen weiteren großen Schluck aus der Flasche zu nehmen.

"Es geht um den Lauf eben. Bist du ... bist du nicht erschöpft?" Forschend wandern seine Augen über mein Gesicht, wahrscheinlich nach Anzeichen für einen Zusammenbruch suchend.

Ich schüttele den Kopf, berichtige mich auf seinen erstaunten Blick aber nochmal: "Es ist kraftraubend, da ich 3,6 Kilometer normalerweise in dreizehn oder vierzehn Minuten laufe. Das heute war schon Höchsttempo."

Nobody | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt