Er fragt sich bei jedem Mal, das er aus dem Fenster sieht, erneut, was passieren wird, wenn es mit ihm zu Ende gehen würde. Was ist und was wird sein, sofern er diese Welt verlässt und ihn die Krankheit auffrisst, von innen heraus? Wird er es schaffen, sie zu besiegen, ehe aus einem kleinen, ja nahezu mickrigen Punkt ein Tumor wird, der all seine Pläne kaputt macht und auseinander nimmt?
Ein Tumor, an dem schon sein Vater gestorben ist und an dem nur diese verdammten Werke Schuld sind.
Wenn seine inneren Konflikte je an die Oberfläche gelangen, wäre er verloren.
Der dunkelhaarige Mann tritt vom Fenster weg, als die Tür zu seinem schwarz getäfelten Arbeitszimmer geöffnet und ein Junge hereingetragen wird.
Die sonst so strahlenden Augen des Jungen wirken matt und farblos, alles Leben wurde ihnen entrissen, als der Kleine zu ihm gebracht wurde. Als er Teil des großen Ganzen wurde und verstanden hat, welcher Platz auf der Welt für ihn bestimmt ist.
"Bi-Bitte, Sir, ich ... ich tue alles, was Sie wollen, alles was nötig ist, aber la-lassen Sie mich am Leben." Die Stimme des Jungen bricht und er fällt vor den Füßen des Mannes in sich zusammen. Der Ältere streicht sachte über die Haare des Jungen, nickt dabei aber ganz unauffällig seinem Assistenten zu. Er soll schon mal das Labor vorbereiten.
"Ich werde dich nicht töten, mein Kleiner. Ich werde etwas ausprobieren und dann ... dann kannst du zu Mommy und Daddy." Noch muss er dem Jungen ja nicht sagen, dass das seinen Tod impliziert, da auch seine Eltern bereits im Reich der Toten verweilen.
Aber in Georgia gibt es nicht viele wie den Kleinen. Nicht viele, die das haben, was auch der Junge sein Eigen nennen kann.
Aber es sind genug, die ihm das abnehmen wollen und werden; wenn er nicht freiwillig mitspielt, dann muss Gewalt eingesetzt werden.
Eigentlich ziemlich schade, hat der Junge doch nur ein kurzes und unerfülltes Leben gelebt.
Als sein blonder Assistent den Kleinen auf seinen Arm hebt und aus dem Raum trägt, wendet sich der Dunkelhaarige wieder dem Fenster zu.
Labor 21 wird bereit für ihn sein, wenn er kommt. Sie werden ihn dort erwarten, auch wenn er urplötzlich vor ihrer Tür steht.
Mit diesem Gedanken geht er die Treppe nach oben in seine Privaträume.
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Ein Kindesschrei ist zu hören, als er den psychiatriezimmer-weißen Gang entlang geht, was ihn kurz innehalten lässt, nur, um sein Tempo letztlich auf das Dreifache zu erhöhen.
Sie sollten doch erst spritzen, wenn er bei ihnen ist!
Die Tür zu Labor 21 aufstoßend, sieht der Leiter der Abteilung vier sich im Labor um. Der Junge ist gar nicht hier!
"Esteban de Grasse, Sie werden wegen Hochverrats an der Regierung verhaftet. Sie haben das Recht zu schweigen. Alles was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet." Die schwarz uniformierten Männer hinter ihm kennen nicht einmal seinen echten Namen, also wie zur Hölle haben sie ihn gefunden?
Er dreht sich nicht um, nimmt aber auch seine Hände nicht nach oben.
"Es tut mir so leid, Sir." Sein Assistent, der Mensch, dem er am ehesten auf dieser Welt vertraut hat, drückt seine Hände auf den Rücken. Das Klicken beim Schließen der Handschellen macht ein schrecklich endgültiges Geräusch und irgendwie ist er in diesem Moment glücklicher, als er eigentlich sein sollte.
Ein wahnsinnig hysterisches Grinsen schleicht sich auf sein Gesicht.
Es gibt genügend Menschen, die ihn tot sehen wollen - der Wunsch wird ihnen bald erfüllt -, aber dass es letztendlich seine eigenen Leute sind, die ihn für immer wegsperren, hätte er nicht für möglich gehalten.
Aber da Loyalität sowieso nur ein Hirngespinst ist, sollte es für ihn auch nicht mehr verwunderlich sein, dass ausgerechnet die Leute, für die er gearbeitet hat, dessen Leben er erträglicher machen wollte, ihn hintergangen haben.
"Wo ist der Junge?", fragt er, leicht erstickt vom Winkel seiner Arme, die auf seinem Rücken angepinnt sind.
"Wir haben ihn zurück zu seiner Familie gebracht. Dadurch, dass Sie seine Eltern haben umbringen lassen, wurde er zu seiner Tante geschickt." Ein uniformierter Beamter hat gesprochen und ihm überkam das Gefühl eines Déjà-vus.
Vor dreizehn Jahren gab es einen ähnlichen Fall, der schon längst in Vergessenheit geraten ist.
Kann es sein, dass ...
"Professor? Professor, sind Sie wach? Ich habe Ihnen Tee gemacht, bitte öffnen Sie die Tür."
Verwirrt von dem Traum, aus dem er so eben erwacht ist, setzt der Mann, der unter dem Decknamen Esteban de Grasse nach Georgia gekommen ist, sich auf und öffnete daraufhin die Tür.
Der blonde, junge Mann, der vor ihr steht, balanciert ein Tablett mit einer Tasse Tee und reichlich Knabbereien auf einer Hand und hält einen Brief und Brieföffner in der anderen.
Der Professor nimmt ihm beides ab und die Tür wird leise wieder geschlossen.
Er ist froh über die Tatsache, keine Glastüren einbauen zu lassen, nicht so, wie Dorothea es gern gehabt hätte.
Denn so kann ihn niemand dabei beobachten, wie er den essentiellen Brief öffnet, auf dessen vorderer Seite die Adresse eines alten Fabrikgebäudes nähe Atlanta als Adresse des Absenders eingetragen ist und die Villa, die er in Conyers, einem schönen Vorort von Atlanta bewohnt, gilt hier als Adresse des Empfängers.
In dem Brief befinden sich streng geheime Datensätze, die die Analysen verschiedener Bluttests ergeben haben.
Insgesamt versteht er ungefähr die Hälfte dessen, was er da liest, vielleicht, weil ihm der Fachjargon fehlt oder die Motivation von seinen grauen Zellen Gebrauch zu machen.
Er weiß nicht, woran es sonst liegen sollte.
Die Treppen in sein Arbeitszimmer heruntersteigend, überlegt er, inwiefern die neuen Daten in seine bisherige Forschung mit eingebaut werden können.
Völlig in seine Gedanken vertieft, merkt der Station vier leitende Professor gar nicht, dass ein plastikummantelter, schwarzer Pistolenlauf einer Glock 17 von hinten auf ihn gerichtet ist.
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Hey 😊,heute gibt es ein etwas kürzeres Kapitel, dafür aber umso mehr Fragen von meiner Seite (tut mir an der Stelle schon mal im Voraus leid).
Also erstmal: Inwiefern, denkt ihr, hängt dieses Kapitel mit dem Rest der Geschichte zusammen?
Wer sind 'Esteban de Grasse' und 'Dorothea'?
Was ist das Labor 21 und die Abteilung vier?
Würde mich echt interessieren, was ihr da so für Theorien habt 😁🤔.
Bis Freitag, man liest sich ☺❤.
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Nobody | ✓
Teen Fiction-1. Teil der Social Distances Dilogie- -ABGESCHLOSSEN- Carter hat nicht nur mit seiner Intelligenz, sondern auch mit einem Wort, das andere Menschen Liebe nennen, zu kämpfen. Nur ist diese Liebe eben manchmal kein Wort, sondern ein Gefühl - und Gefü...