-𝔽𝕠𝕣𝕥𝕪 𝔼𝕚𝕘𝕙𝕥-

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Wann ich das letzte Mal über meine eigenen Füße gestolpert bin, weiß ich nicht und ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass das jemals der Fall gewesen wäre.

Aber momentan ist mein Gehirn sowieso nicht in der Lage auch nur einen sinnvollen und halbwegs logischen Gedanken zu fassen, weshalb ich mich einfach darauf konzentriere, eben nicht zu stolpern.

Nach Daniels Anruf habe ich mich sofort auf den Weg zu ihm gemacht - ob es das war, was er wollte, weiß ich nicht, da er es nicht ausgesprochen hat, aber ich gehe fest davon aus.

Genau weiß ich ja auch nicht, warum er ausgerechnet mich angerufen hat und ich hinterfrage es auch nicht, schließlich kannten wir uns früher, waren sogar sehr gute Freunde - zumindest soweit ich dazu fähig war, Freunde zu besitzen.

Als ich vor der Haustür des Einfamilienhauses stehen bleibe, fühle ich mich ein wenig seltsam, als würde gleich etwas passieren, von dem ich jetzt noch nichts ahne.

Dann klingele ich und realisiere erst zu spät eine - eigentlich - unübersehbare Gefahr: Daniel hat am Telefon seinen Vater erwähnt und der ist ja nun der Letzte, den ich jetzt sehen will.

Jedoch ist es Daniel, der mir die Tür öffnet. Sein Gesicht kann ich nicht lange sehen, da er mir fast sofort in die Arme fällt, aber er sieht nicht gut aus, die Augen und Wangen gerötet, der Mund zu einer schmalen Linie verzogen.

Wir umarmen uns gut zwei Minuten ehe Daniel mich am Unterarm ins Haus zieht und ich gerade noch nach der Tür greifen kann, um sie ins Schloss fallen zu lassen.

Daniels Zimmer sieht aus wie beim letzten Mal, als ich hier war, deshalb kommen von dieser Seite keine neuen und unerwarteten Reize hinzu.

Aber dass er anfängt, zu weinen, ist für mich definitiv neu und unerwartet.

Wieder nehme ich ihn in meine Arme, in diesem Moment denke ich einfach nicht darüber nach. Beweist diese Geste nicht, dass wenigstens ein bisschen Menschlichkeit in mir steckt?

Langsam gehe ich rückwärts auf das Bett zu und lasse mich mit einer gedämpften Bewegung darauf nieder, ehe ich Daniel hinterher ziehe, was er aber kaum mitzubekommen scheint.

Ich lasse ihn eine Weile in Ruhe, denn ich denke nicht, dass er jetzt dazu in der Lage ist, mit mir über etwas zu reden.

Das Einzige, das mir also zu tun übrig bleibt, ist, ihm sachte durch seine roten Haare zu streichen und darauf zu hoffen, jetzt keinen Anfall zu bekommen.

Denn etwas in meinem Inneren ist seltsam provoziert und wirklich gereizt, was an dem Schluchzen liegen könnte, das er unregelmäßig ausstößt. Was genau es aber ist, das mich provoziert, davon habe ich nicht die geringste Ahnung.

Ich weiß nicht, wie lange er in meinen Armen weint, aber das ist mir auch ziemlich egal. Tatsächlich ist mir heute überdurchschnittlich viel egal - sonst bin ich zwar auch nicht an Dingen interessiert, mit denen ich nichts zu tun habe, aber egal sind sie mir ja nicht direkt.

In jedem Fall hat Daniel sich nach einer Weile unter Kontrolle und drückt sich an meiner Brust hoch, um mich ansehen zu können.

"Tut mir leid, dass ich dich so vollheule. War nicht meine Absicht, ehrlich nicht. Ich weiß selbst nicht einmal, warum ich weine. Nur mein Dad, dieser verdammte-" Er unterbricht sich selbst, bevor er ausfällig werden könnte - was ich vollkommen nachvollziehen kann.

"Wo ist dein Vater jetzt?", frage ich vorsichtig, als er sich wieder halbwegs beruhigt hat, während er sich noch einmal über sein Gesicht wischt.

"Dad ist inzwischen - wie du vielleicht bemerkt hast - schon weg; er ist wahrscheinlich zu Julia gefahren. Meine Eltern leben ja nicht in einem Haus, was wahrscheinlich auch besser so ist. Ihre ewigen Streitereien könnte ich echt nicht ertragen." Abfällig rümpft er die Nase.

Nobody | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt