-𝕋𝕨𝕖𝕟𝕥𝕪 𝕊𝕖𝕧𝕖𝕟-

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Ich kann nur still da sitzen und keine Worte hervorbringen. Es ist mir einfach unmöglich.

"Du", ich weise auf ihn, "und Noah wart mal zusammen?" Meine Stimme klingt zu hoch, selbst ich höre die Panik heraus.

Er nickt. Sagt nichts, nickt einfach nur.

"Das ist ... überraschend", gebe ich zu und bringe irgendwie ein Nicken zustande.

Tristan windet sich, während ich ihn nur schweigend ansehe. Kurz denke ich an Noah und unsere derzeitige Konfliktsituation, dann verwerfe ich den Gedanken.

"Was ist zwischen euch vorgefallen, zwischen dir und Noah, meine ich?"

Diesmal bin ich derjenige, der sich windet. Ich will nicht darüber reden, will ich einfach nicht.

Kurz schüttele ich den Kopf und schließe fest die Augen. Vielleicht kann ich mich ja wegteleportieren? Wenn ich nur fest daran glaube, dann ...

Tristan bleibt behaarlich. "Bitte, Carter, erzähl' mir, was passiert ist. Erzähl' es mir, dann wird es dir sicher besser gehen." Seine Augenbrauen mimen Sorge und eine Art Mitgefühl spiegelt sich in seinen Augen wider, die ihr Glitzern noch lange nicht verloren haben.

"Ich ..." Nein. Ich kann ihm das nicht erzählen, auch wenn er etwas ähnliches durchgemacht hat.

"Carter, bitte. Bitte sag' es mir." Fast schon flehentlich sieht er mich an, andere Menschen würden seinen Blick wohl als Hunde-Blick beschreiben.

Mein Atem beginnt sich zu verschnellern, die normale Reaktion auf eine Drucksituation.

"Hey." Er nimmt mein Kinn in seine Hände, meine Augen sind wieder fest geschlossen. "Sieh mich an. Carter, sieh mich an."

Vorsichtig öffne ich die Augen und kann direkt in seine nahezu goldenen Sehorgane blicken. Sie sind einfach wahnsinnig schön, zumindest meiner Meinung nach.

Ich hasse ihn dafür, auch wenn ich das nie für möglich gehalten hätte, weil ich dachte, ich könnte nicht anders, als ihn auf ewig zu lieben.

Tief atme ich durch. "Er hat mich geküsst. Schon bevor ich dich angerufen habe, bevor wir uns kennengelernt haben, bevor alles eskaliert und zerbröckelt ist. Vielleicht hat Kathy dir ja davon erzählt, dass sein Bruder für Victor arbeitet und bei einem Geschäftsessen dann alles ein wenig aus dem Ruder gelaufen ist. Jedenfalls hat Noah den Kuss erklärt; es sei eine Wette gewesen.

Hätte ich Maryse' psychologische Grundkenntnisse, hätte ich die Aussage bestätigen oder abtun können, aber da ich Jura und nicht Psychologie studieren werde, bin ich da unterfragt. Versteh' mich nicht falsch, ich bin ein toller Psychologe, aber es fehlt mir tatsächliches Fachwissen, das dann  zur Aufklärung der Frage des entweder oder beitragen würde.

Wie dem auch sei, hat Noah auch mich beleidigt. Irgendwann in einer anderen Nacht ist er nochmal zu mir gekommen und hat sich für sein Verhalten entschuldigt. Ich vermute eine gespaltene Persönlichkeit, sicher bin ich mir aber nicht wirklich. Vielleicht weißt du das ja." Kurzatmig und abgehackt hole ich Luft.

"Also hat dieser Mistkerl dich auch schon beleidigt?" Rote Streifen zieren seine Wangen urplötzlich und er scheint wütend zu sein.

Das Stichwort Noah ist reine Provokation, zumindest für ihn und mich.

Seine Hände sind zu Fäusten geballt, er scheint sich zu fragen, welche Tötungsmethode die qualvollste sein wird. Irgendwie süß, andersherum aber eher wirklich grausam.

Ganz so schlimm ist es dann doch nicht, abgesehen von der Tatsache, dass er einen Unschuldigen – Daniel – mit hinein gezogen hat.

Man kann ja eigentlich auch nichts dafür, wenn man in eine Familie mit homophoben Eltern hineingeboren wird oder die Religion, der man angehört, homosexuelle Beziehung nicht gutheißt. Klar kann man sich dann abschotten oder abwertende und negative Aussagen gegenüber Homosexuellen einfach sein lassen, aber manchmal ist es gar nicht so einfach, sich etwas abzugewöhnen, dass man sein Leben lang nicht anders gelernt hat.

Nobody | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt