-|𝕋𝕙𝕚𝕣𝕥𝕪 𝔽𝕠𝕦𝕣|-

64 10 40
                                    

2009

"Isaac, starr gefälligst nicht so vor dich hin, sondern iss lieber! Wenn du so weiter machst, werde ich dich wohl oder übel enterben müssen."

Sein Vater sieht ihn aus seinen stahlharten Augen eiskalt an und dem inzwischen fast Vierzehnjährigen fährt ein Schauer über den Rücken.

Fast gesteuert setzt er sich gerade hin und erwidert den Blick seines Vaters.

Wer erwachsen sein will, muss auch sein Verhalten entsprechend anpassen, das weiß Isaac nur zu gut – oder hat es über die Jahre zumindest eingetrichtert bekommen, sodass er es jetzt demnach anwenden kann.

Unverzüglich isst er weiter, still sitzt er am Tisch und beobachtet, wie sein kleiner Bruder, der gerade mal fünf Jahre alt ist, seiner sechsjährigen Schwester eine Erbse vom Teller klaut und die beiden sich dann darum streiten.

Innerlich schüttelt er über dieses kindliche Verhalten den Kopf, erinnert sich dann aber daran, dass ja nicht jedes Kind in diesem Alter schon so nachdenklich sein kann, wie er es war.

Isaac war immer ruhig, hat beobachtet und gesammelte Daten ausgewertet. Selten hat ihm etwas solchen Spaß gemacht, wie das Beobachten von Menschen.

Jede Verhaltensweise und Reaktion eines einzelnen Menschen unterscheidet sich von der eines anderen Menschen, aber insgesamt sind sie sich alle ähnlich.

Irgendwann, wenn man genug beobachtet, kann man anfangen, Dinge auszuprobieren, um seine Vermutungen, die menschliche Psyche betreffend, zu bestätigen.

Vielleicht hat der Professor genau diese Gabe in Isaac gesehen, als es kein anderer getan hat.

Er sitzt immer noch gerade, wie ein salutierender Soldat, am Küchentisch, sein Rücken bildet ein leichtes Hohlkreuz. Das Essen schmeckt nicht, aber er isst es trotzdem, da er sich sicher ist, sein Vater würde ihn sonst hassen – wenn er das nicht sowieso schon tut.

Möglicherweise wünscht Isaac sich ja, der Professor wäre sein Vater. Denn müssten Väter nicht stolz auf ihre Söhne sein? Irgendwie ist der Professor der einzige, der diese Vaterrolle übernimmt, denn Isaacs richtiger Vater war nie stolz auf ihn – und selbst wenn, hat er es nicht zum Ausdruck bringen können.

Als alle fertig mit dem Essen sind, hilft Isaac seiner Mutter beim Abdecken des Tisches, wobei sich zufällig ihre Hände berühren.

"Warum hast du so kalte Hände, Isaac?", fragt seine Mutter besorgt, aber er wendet den Blick ab und räumt den Teller, den er in der Hand hält, in die Spühlmaschine.

"Antworte deiner Mutter gefälligst!" Isaac erschrickt, als seine Vater plötzlich im Türrahmen steht und mit finsterer Miene auf seinen Sohn herabstarrt.

"Ich ..." Isaac stockt. Er hat keine sinnvolle Antwort auf die Frage seiner Mutter und weiß deshalb nicht, was er jetzt sagen soll.

Sein Vater schnaubt nur und verzieht sich in das anliegende Wohnzimmer. Bevor er geht, wirft er seinem ältesten Sohn jedoch noch einen enttäuschten Blick zu, der diesem fast die Tränen in die Augen treibt.

Verdammt, Isaac wollte doch nicht mehr schwach sein.

Kurz sieht er sich um; der Tisch ist abgeräumt, also kann er in sein Zimmer gehen.

Seine Mutter jedoch hält ihn von diesem Vorhaben ab, indem sie nach seinem Arm greift.

"Isaac." Sie wartet, bis ihr Sohn sie ansieht. "Du weißt, dass dein Vater das nicht so meint. Er will nur das Beste für dich. Dabei ist er manchmal eben ein wenig strenger, als andere Eltern, aber glaub mir, er macht sich auch Sorgen um dich. Was denkst du denn, wie es für uns als Eltern ist, einen Sohn zu haben, der nie lacht oder einfach nicht lachen kann?"

Ihr Blick ist nicht vorwurfsvoll, eher mitfühlend, aber Isaac weiß selbst, wie sehr sie ihn tief im Inneren verabscheut. Na ja, wissen tut er es nicht, aber er vermutet es. Schließlich tut sein Vater das ja auch, nur das er es nicht verstecken muss.

Ein mächtiger Mann wie sein Vater darf schließlich tun und lassen, was er will. Dazu gehört dann eben auch, seinen Sohn abzuschieben, nur weil er seiner Meinung nach eine Enttäuschung ist.

Isaac hat sich selbst nie als Enttäuschung gesehen. Vielleicht ist er nicht der perfekte Sohn, aber eine Enttäuschung ganz sicher auch nicht.

Er tut, was man von ihm verlangt. Bildet sich, wenn es darauf ankommt, seine eigene Meinung, die er jedoch wohl kaum anzubringen wagt, sollte sie mal nicht der seines Vaters entsprechen.

Der Professor ist schließlich nicht der einzige Dämon in Menschengestalt, der auf der Erde wandelt.

Seine schulischen Leistungen sind hervorragend und einsame Spitzenklasse, jedoch hat man von ihm auch nie etwas anderes erwartet. Jeden Abend werden zwei Stunden für das Lernen und eine Stunde für Hausaufgaben eingeplant; Nachtruhe ist unter der Woche um halb zehn, aufstehen tut Isaac um fünf, um ein ausgewogenes, gesundes und nährreiches Frühstück zu genießen und fit für die Schule zu sein.

Soziale Kontakte hat er kaum welche, aber die braucht er auch nicht, zumal seine Eltern schon längst eine zukünftige Ehefrau für ihn ausgesucht haben – ungeachtet der Tatsachen, dass sie erstens sechs Jahre älter ist als er und er zweitens weder Interesse an ihr noch an irgendeiner anderen Frau in ihrem Jahrgang hat.

Aber wenn ein Sohn seinen Vater stolz machen will, tut er doch eigentlich fast alles – selbst eine Frau heiraten, die er einfach nicht leiden kann und sei das noch gut fünf Jahre hin.

Wahrscheinlich hätten seine Eltern schon einen Hochzeitstermin arrangiert, wenn nicht die Chance bestehen würde, das einer der beiden zukünftigen Eheleute, egal ob Isaac oder Shanice – seine Versprochene – vorher stirbt.

Dass seine Eltern Isaacs komplette Zukunft geplant haben, halten sie ihm auch ständig vor: Isaac tu dies, sonst wird das passieren oder es wird nicht passieren; Isaac tu das, weil du sonst keine Chance hast, deine Zukunft so zu gestalten, wie wir das gerne hätten.

Es ist ihnen aber auch völlig egal, wie er sich dabei fühlt. Hauptsache die Zukunft der Familie ist nicht gefährdet; als Erstgeborener muss man eben manchmal so einige Opfer aufbringen.

Mit seinem Schicksal hat der Teenager sich schon länsgt abgegeben. Im Hinterkopf behält er nämlich die Hoffnung, dass der Professor eines Tages wieder kommt und ihn mit in ein weit, weit entferntes Land nimmt – oder seinetwegen auch nur bis nach Portland, hauptsache, er ist weg aus den Fängen seiner Eltern und kann anfangen, sein eigenes Leben zu leben.

Er wollte schließlich nie das sein, was sein Vater von ihm wollte, das er ist: Er selbst, nur ohne die Fehler, die er bereut.

----

So, und wieder ein Kapitel in der Vergangenheit. Wer, vermutet ihr, ist Isaac eigentlich?

Freue mich definitiv auf eure Theorien 😁.

Schönen Sonntag und bis Dienstag 😊.

Man liest sich (hoffentlich) 👋🏻.

Nobody | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt