-𝔽𝕚𝕗𝕥𝕖𝕖𝕟-

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In der Zeitung, auf dessen Titelblatt eine Frau mit viel zu grünen Augen abgebildet ist, der ich aber keine berühmte Person zuordnen kann, steht wieder eine neue Vermisstenanzeige. Diesmal ein kleiner Junge namens Reed Frenchman aus Sandy Springs.

"Warum stehst du?" Maryse stellt den frisch gepressten Orangensaft neben mein Eiweißbrot mit Salat, das ich jeden Morgen esse.

Ich sehe sie nicht an, zu gebannt bin ich von den kontaktlinsengrünen Augen.

"Richtig, ich habe ganz vergessen, dass wir hier Stühle haben", erwidere ich dann irgendwann.

"Genau, weil Stühle ja schon lange keine Selbstverständlichkeit in neumodernen Haushalten sind." Sie stellt sich an die Arbeitsfläche und beginnt, ein Brot mit Butter für die Arbeit zu schmieren, auf das sie eine Scheibe Käse legt und es letztlich in eine blaue Brotdose packt. Ein zweites Brot folgt.

Fasziniert starre ich sie an.

"Was ist?", fragt sie dann sanft. Sie kommt auf mich zu, aber ich kann meinen Blick nicht von ihr abwenden.

Sie umfasst meine Wangen. Sie ist nur ein paar Zentimeter kleiner als ich, weshalb sie auch nicht wirklich nach oben sehen muss, wenn sie mir in die Augen blicken will.

"Carter."

Es ist diese Manipulationsgabe. Die, die jeder Psychologe auf die eine oder andere Weise besitzt und die ich mir angeeignet habe, während andere Kinder mit bunten Spielzeugautos herumgefahren sind.

"Carter, was ist los?"

Irgendetwas an dem Bild stört mich. Ich weiß nicht, was es ist, aber etwas ist hier gewaltig falsch.

"Der Name. Der Name des Jungen. Reed Frenchman. Wo habe ich den schon mal gehört?" Als ich Richtung Wohnzimmer verschwinde, muss sie ihre Hände von meinen Wangen nehmen.

Jetzt ist es an ihr, mir sprachlos hinterher zu starren.

Im Wohnzimmer laufe ich wie von der Tarantel gestochen auf und ab.

Der Name. Es muss der Name sein.

Aber an ihm ist nichts besonderes. Reed Frenchman. Reed Frenchman. Reed ...

"Frenchman!", rufe ich aus, was Maryse, die gerade in den Raum getreten ist, zusammenzucken lässt.

Es ist, als würde sich eine kaputte Kassette immer und immer wieder in meinem Kopf abspielen und irgendwann, wenn es zu viel wird oder ich mich daran erinnere, was das Wort bedeutet, schreie ich es heraus.

"Was ist mit dem Namen, Carter?" Ich weiß, dass sie versucht ruhig zu bleiben, aber selbst ihr fällt das schwer.

Nachdem sich die Worte in meinem Kopf wiederholen, bekomme ich schreckliche Zuckungen, eine unpraktische Nebenwirkung der wahnsinnigen Denkgeschwindigkeit meines Gehirns.

Meine Hände beginnen unkontrolliert zu zittern und ich falle. Nicht auf den Boden, sondern in eine andere Realität.

Ich liege schon auf dem Boden, aber der Himmel ist scharlachrot. Vielleicht sind es die Augen des Gottes des Chaos oder ich interpretiere mal wieder zu viel in die Dinge hinein.

Um mich herum stehen nachtschwarze Häuser, hinter deren Fenster ein unheilvolles, nahezu blau-grünes Licht scheint, als hätte ich zu lange in eine Leuchtstoffröhre geschaut.

Der Boden ist sandig und staubig, so als hätte es seit Wochen - oder Monaten - nicht mehr geregnet.

Irgendwann realisiere ich, dass es sich bei den Häusern eigentlich um Labore oder etwas in der Art handelt, an deren Wänden Zahlen stehen, die keine logische Reihenfolge haben, sondern meiner Meinung nach zufällig ausgewählt wurden.

Nobody | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt