"Was tust du hier?", frage ich den großen, jungen Mann, dessen hellbraune Haare im Schein des Mondes fast silbern glitzern.
Ein komisches Bild, irgendwie schrecklich surreal.
"Ich möchte, dass wir jetzt endlich mal miteinander reden, Carter", erklärt Tristan sein plötzliches Erscheinen.
Meine Hände wandern tiefer in die Tasche meines Mantels; der Atem, den ich ausstoße zeigt sich in Form von winzigen, weißen Wolken, die die Kälte hier draußen noch einmal unterstreichen.
"Da hast du Recht, das sollten wir." Ganz traue ich mich noch nicht, auch nur einen Schritt näher an ihn heran zu treten und wir müssen schon ziemlich komisch aussehen, wie wir da so zwei Meter voneinander entfernt stehen und uns einen abfrieren, während wir genauso gut im Warmen sein könnten.
Wir könnten bei unseren Familien sein und mit ihnen das Weihnachtsfest feiern, könnten lachen und glücklich sein. Stattdessen stehen wir in der Eiseskälte hier und starren uns in die Augen.
"Fang du an zu reden. Du hast mir nämlich einiges zu erklären", weise ich ihn an und trotz seiner enormen Körpergröße scheint er jetzt ein wenig kleiner zu werden.
"Ich wollte Noah nicht küssen. Er kam zu mir, als ich gerade dabei war, mich auf den Weg zu dir zu machen. Dann hat er mich zu sich gezogen und geküsst, als seien ihm die Konsequenzen völlig egal - was wahrscheinlich genauso ist. Und dann, als du uns gesehen hast, dachte ich, du seist eifersüchtig, aber das warst du nicht. Nicht einmal, als ich mit ihm Hand in Hand in die Schule gekommen bin. Wir haben nicht miteinander geredet und, glaub mir, du hast keine Ahnung, wie weh mir das getan hat.
Es tut mir jetzt noch weh, dass du nichts dazu gesagt hast. Es wäre mir lieber gewesen, wenn du ihn verprügelt hättest. Tut mir leid, war vielleicht wirklich nicht zuende gedacht, aber mit der Aktion - das mit dem Händchen halten - wollte ich dich einfach nur eifersüchtig machen. Natürlich ist mir klar, dass es schwer für dich ist, Liebe zu zeigen. Das weiß ich ja.
Aber ich dachte, dass du es vielleicht so ausdrücken könntest. Tut mir leid. Tut es echt. Ich bin so verdammt dumm." Seine goldenen Augen reflektieren das Licht der Straßenlaterne in meinem Rücken und sehen nochmal schöner aus, als so schon.
"Ist ... schon okay." Das ist es wirklich. Mit Gefühlen habe ich vielleicht nicht viel am Hut, aber ich kann mir vorstellen, dass Menschen wie Tristan glücklich darüber wären, wenn ihr Partner eifersüchtig ist. Vielleicht als Beweis der Liebe, oder so.
Verstehen tue ich es nicht, aber ich kann es natürlich akzeptieren, so wie ich alles neurotypische bereits akzeptiert habe. Na ja, fast alles.
Tristan macht zwei Schritte auf mich zu und seine behandschuhten Hände umfassen meine Wangen. Wir sehen uns den Bruchteil einer Sekunde in die Augen, dann wendet er den Blick auf meine Lippen.
Unser Atem vermischt sich und mir ist lange nicht mehr so kalt, wie das eigentlich der Fall sein sollte.
"Tristan", bringe ich über die Lippen, die plötzlich angefangen haben, zu zittern - und das definitiv nicht vor Kälte. "Wenn wir uns jetzt küssen, ist alles vorbei."
Mit weit aufgerissenen Augen sieht er mich an, aber ich bringe nur ein wenig Abstand zwischen uns. Der Blick, den er mir als nächstes zuwirft, spiegelt Schmerz und Trauer und er senkt seine Lider ein wenig.
"Du kannst das nicht ernst meinen, Carter. Du kannst nicht wollen, dass es vorbei ist." Wenn seine Augen vorher fast geschlossen waren, reißt er sie jetzt auf und sieht mich entsetzt an.
"Das will ich auch nicht. Ich denke nur daran, was später ist. In einem halben Jahr, Tristan, geht alles zu Ende. In einem halben Jahr kriegen wir unsere Abschlusszeugnisse und sind danach hunderte von Meilen voneinander entfernt. Ist es wirklich das, was du für unsere Zukunft willst? Eine Fernbeziehung?" Wahrscheinlich plädiere ich mit meinen Worten an seine Rationalität, aber da ich nicht wirklich über das nachgedacht habe, was da aus meinem Mund kam, bin ich mir nicht sicher.
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Nobody | ✓
Novela Juvenil-1. Teil der Social Distances Dilogie- -ABGESCHLOSSEN- Carter hat nicht nur mit seiner Intelligenz, sondern auch mit einem Wort, das andere Menschen Liebe nennen, zu kämpfen. Nur ist diese Liebe eben manchmal kein Wort, sondern ein Gefühl - und Gefü...