-𝔽𝕠𝕣𝕥𝕪 𝔽𝕚𝕧𝕖-

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Schwer atmend öffne ich meine Augen und sehe direkt in ein angespanntes Gesicht. Die gleichen grünen Augen wie in meiner Erinnerung starren mich durchdringend an und ich muss schwer schlucken, ohne wirklich zu realisieren, was mein Unterbewusstsein mir da gerade gezeigt hat.

"Wo ist Maryse?", frage ich hinter zusammen gebissenen Zähnen und weiß, ohne mich umzusehen, dass sie nicht hier ist - sonst würde ich nämlich mit Sicherheit ihre einnehmende Aura fühlen.

"Sie ist vor ein paar Minuten gegangen und meinte, ich solle mit dir darüber sprechen, was du gesehen hast." Der Professor zuckt mit den breiten Schultern, die grünen Augen ein wenig zusammen gekniffen.

Ich schlucke. "Maryse weiß also, was mir gezeigt wurde." Es könnte sowohl eine Feststellung als auch eine Frage sein, aber vielleicht habe ich lediglich einen Gedankengang laut ausgesprochen, der sowieso die ganze Zeit in der Luft hing.

"Ich denke, dass sie es vermutet. Aber da sie sich zu fein war, mich darüber aufzuklären, wäre es nett, wenn du mir erzählen würdest, was du gesehen hast. Schließlich wusste ich bis eben nicht einmal, dass du - oder eher dein Unterbewusstsein - diese Fähigkeit besitzt." Nachdenklich legt er den Kopf schief und wartet vielleicht auf eine Antwort meinerseits.

Einen Moment bin ich von seinen Augen abgelenkt, dann raffe ich mich zusammen und schüttele mich einmal, ehe ich ihn mit festem Blick ansehe.

Wenn ich einfach nicht preisgebe, was ich bei diesen Bildern gefühlt habe, wird er es auch nicht wissen und ich kann in Ruhe weiter leben - auch wenn ich ihm ja eigentlich nichts über meine Eltern erzählen wollte.

Aber dadurch, dass mein Unterbewusstsein der Meinung war, auch diesen Mann in die Erinnerungen einzubauen, hat er sich quasi einen Freischein erkauft.

"Da waren mein Vater, der telefoniert hat und ich, als kleiner Junge. Aufgrund dessen, dass mein Vater den Namen Eric nannte, gehe ich davon aus, dass er Sie meinte, aber ich kann mich auch täuschen. Dann hat sich das Bild geändert und ich, immer noch in klein, war in Ihren Armen. Wir standen vor der Haustür dieses Hauses" - ich mache eine allumfassende Geste - "und Sie haben ein paar Worte zu meiner Tante gesagt, irgendetwas davon, dass Sie Ihren Teil der Abmachung erledigt hätten."

Dass ich seinen genauen Wortlaut nicht wiederhole, ist Absicht - wenn ich seine Stimme nachmachen würde, würde die Intonation meine Gefühlslage offenlegen, daran bin ich jedoch nicht interessiert.

Er schweigt einen Moment und sieht damit in eine andere Richtung, dann schaut er mich wieder an. Mich verwundert, dass er scheinbar keine Worte hervorbringen kann - er schluckt lediglich und starrt ein wenig vor sich hin.

"Ich werde dich jetzt aufklären, in Ordnung?" Ich verstehe seine Frage nicht. Wobei, doch, ich verstehe seine Frage, aber warum stellt er sie?

Er könnte schließlich einfach tun und lassen, was er will - er ist offensichtlich bereits volljährig -, da braucht er keine Erlaubnis eines Teenagers.

"Natürlich." Ich nicke und bedenke ihn mit einem abwartenden Blick, damit er anfängt, mir die Geschichte zu erzählen, wie sie wirklich passiert ist - und nicht wie Maryse ein ganz neues Ende dichtet.

Sonst fände ich es in Ordnung, dass sie das getan hat, aber in diesem Fall bin ich einfach nur sauer auf sie.

"Du musst wissen, dass dein Vater, deine Tante und ich früher einer Organisation angehörten, die Experimente an hochbegabten Kindern machten. Es war für einen guten Zweck - es diente sowohl der Regierung als auch dem Volk. Ein Team von Wissenschaftlern arbeitete an einem Mittel, das später auch für die Heilung von Krebs eingesetzt werden sollte.

Nobody | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt